Australien 04 - Wo wilde Flammen tanzen

spitzen Schrei aus, als der Schmerz durch ihren Körper schoss.
    »Mann…!«
    »Reiß dich zusammen, du Weichei«, lachte Bridie. Sie legte den schmalen Stoffstreifen beiseite, tauchte das Wachsmesser wieder in den Topf und strich damit über Emilys Schienbein. »Warte ab, bis wir zur Bikinizone kommen!«
    »Ich habe dir schon gesagt, dass ich dich nicht mal in die Nähe meiner Bikinizone lasse, du sadistische Hexe! Es stört mich nicht, wenn es bei mir da unten aussieht wie Muff!«
    »Du warst zu lang verheiratet. Das muss alles weg! Außerdem, was ist schlimmer? In vollem Galopp gegen einen Baum zu knallen oder sich ein Brazilian machen zu lassen?«
    »Keine Ahnung. Ich habe noch nie ein Brazilian bekommen. Was genau ist das?«
    »Du weißt nicht, was ein Brazilian Waxing ist? Wo hast du gelebt?«, fragte Bridie fassungslos.
    »In Dargo. Und Brigalow. Jedenfalls nicht in Brasilien.«
    Bridie wedelte mit ihrem Messer. »Wo soll ich da anfangen? Warst du schon mal auf Tasmanien?«
    »Nö.«
    »Aber du weißt, wie die Insel auf der Landkarte aussieht?«
    »Schon.«
    »Also, nachdem Mum und Dad mit uns da runtergezogen waren, um in der Holzwirtschaft zu arbeiten, konnte ich die Karte ziemlich bald auswendig. Hast du die Karte von Tasmanien vor Augen? Das bauchige Dreieck mit Devonport an der Nordküste, den Nationalparks in der Mitte und Hobart an der Südspitze?«
    »Ja. Ich sehe sie vor mir.«
    »Erst werden die Ost- und die Westküste kahlgeschlagen«, erklärte sie und zeigte mit dem Messer die entsprechenden Bereiche auf ihrer Hose an. »Anschließend ziehe ich einen Streifen im Norden von Burnie bis Launceston, aber ich höre noch über den Nationalparks auf, und ich wachse bestimmt nicht weiter südlich als bis Oatlands. Alles, was tief im Süden und rund um Hobarts liegt, ist sowieso tabu. Kapiert? Alles klar?«
    Emily runzelte die Stirn.
    »Ach ja, wenn du tatsächlich alles klar haben willst, nennt man das Hollywood Style. Aber den würde ich dir nicht empfehlen. Das piekt wie die Hölle, wenn es nachwächst. Ich würde eher mit einem Brazilian ganz gezielt ausholzen.«
    »O mein Gott. Du kannst wirklich nicht verhehlen, dass du aus einer Holzfällerfamilie kommst. Du bist eine tragische Figur.«
    »Danke. Wenn das Schlimmste überstanden ist, kannst du bei einer Gesichtspackung eine Weile chillen. Außerdem bekommst du von mir noch eine Reiki-Massage.«
    »Reiki? Du kennst dich mit so was aus? Du solltest meine Freundin Evie kennenlernen!«
    »Das habe ich schon öfter gehört.«
    Als Emily später mit kühlenden Wattebäuschchen auf den Lidern auf der Liege ruhte, merkte sie, wie sich ihr ganzer Körper entspannte. Die Anspannung, unter der sie gestanden hatte, begann sich zu lösen, und sie empfand ihrer Freundin gegenüber tiefe Dankbarkeit. Noch nie hatte sie etwas erlebt, das mit dem zu vergleichen wäre, was Bridie ihr eben vergönnt hatte.
    Kopfhautmassage, Gesichtsmassage, danach Nacken und Schulter – mit Ausnahme des Schlüsselbeines –, dazu eine Maniküre, nach der ihre Nägel richtig glänzten. Emily fühlte sich wie Julia Roberts in Pretty Woman. Dank Bridie hatte sie jetzt eine Chance, äußerlich zu heilen, so wie sie dank Evie bereits innerlich gesundete.
    Während der letzten Wochen hatte Evie auf der Hochebene Emilys Körper mit gutem Essen und ihren Geist mit guten Büchern genährt. Emily hatte pausenlos gelesen und so viel aufgesogen wie nur möglich: Romane über junge Frauen, die zu sich finden und ihre Träume wahr werden lassen, Zeitschriften über naturnahen Anbau, Informationen über Gräser und ihr Wachstum unter einer regelmäßigen Beweidung, die ihr Überleben garantierte. Emilys Geist öffnete sich wie eine Blume, und ihr Körper heilte schneller, als sie erhofft hatte. Evie hatte ihr erklärt, dass das auch eine Folge ihres Nahtoderlebnisses sein konnte.
    »Es ist ganz normal«, hatte sie gesagt, »dass sich das Bewusstsein nach einem solchen Erlebnis verändert. Es gibt so viele Menschen, die um ein Haar gestorben wären und daraufhin das Leben erst richtig zu schätzen gelernt haben. Oft setzen sie sich danach für humanitäre oder ökologische Belange ein. Dein Schicksal ist eng mit dem der ganzen Welt verwoben und wird das auch immer sein.«
    Manchmal hörte sich Evie an wie ein alter, weiser Prophet, dann aber fluchte oder rülpste sie oder verfluchte Jesus Christus und wirkte dabei ganz normal. Emily war immer wieder fasziniert von ihr, während Sam sich