Auswahl seiner Schriften
auch ein, warum gerade er so unwiderstehlich anziehend und fesselnd mich einnehmen mußte. Es war dieß nicht bloß die Erinnerung daran, wie mir dieser Stoff zum ersten Male im Zusammenhange mit dem Tannhäuser vorgeführt worden war; am allerwenigsten war es haushälterische Sparsamkeit, die mich etwa vermocht hätte, den gesammelten Vorrath nicht umkommen zu lassen: daß ich in diesem Bezuge eher verschwenderisch war, erhellt aus dem Berichte über meine künstlerische Thätigkeit. Im Gegentheile muß ich hier bezeugen, daß damals, als ich im Zusammenhange mit dem Tannhäuser den Lohengrin zuerst kennen lernte, diese Erscheinung mich wohl rührte, keineswegs mich, aber zunächst schon bestimmte, diesen Stoff zur Ausführung mir vorzubehalten. Nicht nur, weil ich zunächst vom Tannhäuser erfüllt worden war, sondern auch weil die Form, in der Lohengrin mir entgegentrat, einen fast unangenehmen Eindruck auf mein Gefühl machte, faßte ich ihn damals noch nicht schärfer in das Auge. Das mittelalterliche Gedicht brachte mir den Lohengrin in einer zwielichtig mystischen Gestalt zu, die mich mit Mißtrauen und dem gewissen Widerwillen erfüllte, den wir beim Anblicke der geschnitzten und bemalten Heiligen an den Heerstraßen und in den Kirchen katholischer Länder empfinden. Erst als der unmittelbare Eindruck dieser Lektüre sich mir verwischt hatte, tauchte die Gestalt des Lohengrin wiederholt und mit wachsender Anziehungskraft vor meiner Seele auf; und diese Kraft gewann von Außen her namentlich auch dadurch Nahrung, daß ich den Lohengrinmythos in seinen einfacheren Zügen, und zugleich nach seiner tieferen Bedeutung, als eigentliches Gedicht des Volkes kennen lernte, wie er aus den läuternden Forschungen der neueren Sagenkunde hervorgegangen ist. Nachdem ich ihn so als ein edles Gedicht des sehnsüchtigen menschlichen Verlangens ersehen hatte, das seinen Keim keinesweges nur im christlichen Übernatürlichkeitshange, sondern in der wahrhaftesten menschlichen Natur überhaupt hat, ward diese Gestalt mir immer vertrauter, und der Drang, um der Kundgebung meines eigenen inneren Verlangens willen mich ihrer zu bemächtigen, immer stärker, so daß er zur Zeit der Vollendung meines Tannhäusers geradesweges zur heftig drängenden Noth ward, die jeden anderen Versuch, mich ihrer Gewalt zu entziehen, gebieterisch von mir wies.
Auch Lohengrin ist kein eben nur der christlichen Anschauung entwachsenes, sondern ein uralt menschliches Gedicht; wie es überhaupt ein gründlicher Irrthum unserer oberflächlichen Betrachtungsweise ist, wenn wir die spezifisch christliche Anschauung für irgendwie urschöpferisch in ihren Gestaltungen halten. Keiner der bezeichnendsten und ergreifendsten christlichen Mythen gehört dem christlichen Geiste, wie wir ihn gewöhnlich fassen, ureigenthümlich an: er hat sie alle aus den rein menschlichen Anschauungen der Vorzeit überkommen und nur nach seiner besonderen Eigenthümlichkeit gemodelt. Von dem widerspruchsvollen Wesen dieses Einflusses sie so zu läutern, daß wir das rein menschliche, ewige Gedicht in ihnen zu erkennen vermögen, dieß war die Aufgabe des neueren Forschers, die dem Dichter zu vollenden übrig bleiben mußte.
Wie der Grundzug des Mythos vom »fliegenden Holländer« im hellenischen Odysseus eine uns noch deutliche frühere Gestaltung aufweist; wie derselbe Odysseus in seinem Loswinden aus den Armen der Kalypso, seiner Flucht vor den Reizungen der Kirke, und seiner Sehnsucht nach dem irdisch vertrauten Weibe der Heimath, die dem hellenischen Geiste erkenntlichen Grundzüge eines Verlangens ausdrückte, das wir im Tannhäuser unendlich gesteigert und seinem Inhalte nach bereichert wiederfinden: so treffen wir im griechischen Mythos, der an und für sich gewiß noch keineswegs ältesten Gestalt desselben, auch schon auf den Grundzug des Lohengrinmythos. Wer kennt nicht »Zeus und Semele«? Der Gott liebt ein menschliches Weib, und naht ihr um dieser Liebe willen selbst in menschlicher Gestalt; die Liebende erfährt aber, daß sie den Geliebten nicht nach seiner Wirklichkeit erkenne, und verlangt nun, vom wahren Eifer der Liebe getrieben, der Gatte solle in der vollen sinnlichen Erscheinung seines Wesens sich ihr kundgeben. Zeus weiß, daß er ihr entschwinden, daß sein wirklicher Anblick sie vernichten muß; er selbst leidet unter diesem Bewußtsein, unter dem Zwange, zu ihrem Verderben das Verlangen der Liebenden erfüllen zu müssen: er vollzieht sein eigenes
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