Ausweichmanöver (German Edition)
wohnte, als ihm seine Mutter einfiel. Er tastete nach seinem Handy. Achtzehn Anrufe. Alle von seiner Mutter. Wieder vibrierte das Telefon. Er steckte es weg. Wenn er jetzt nach Hause ging, würde seine Mutter ihn auf keinen Fall in sein Zimmer und an den PC lassen.
Kurz entschlossen zog er das Handy wieder aus der Tasche. Anrufen oder SMS? Er tippte: „Muss noch helfen. Bin ok. Komme bald.“ Nachdem er die Nachricht abgeschickt hatte, tippte er noch eine: „Mach dir keine Sorgen.“
Er ging zurück in Richtung Stadtzentrum. Wenn er sich richtig erinnerte, hatte die Stadtbücherei mittwochs bis 13 Uhr geöffnet. Das musste genügen. Zielstrebig ging er in die Medienecke im Erdgeschoss. Zwei der fünf PCs waren frei. Er setzte sich, nahm die Speicherkarte aus seiner Kamera. Er loggte sich ins Internet ein, startete die Bildbearbeitungssoftware Gimp und lud das erste Foto.
Das war noch vom Festival. Die fetten Hühner.
Er klickte weiter. Feuerwanzen. Die hatte er Dienstag beim Schulzentrum aufgenommen. Das nächste.
Michelle.
Dann Gordon kriechend.
Der Baum, vor dem Valentin eben noch gestanden hatte.
Das nächste Foto. Verwackelt, wohl die Turnhalle, danach das Pflaster, Rinde, die Büsche am Rondell. Gut, jetzt kamen wir der Sache näher. Das weiße HAWK-Gebäude leuchtete durch die Blätter.
Die Dachkante, okay. Er klickte das nächste Foto an. Etwas Dunkles auf dem Dach neben dem Lüftungsschacht. Er vergrößerte den Ausschnitt. Langsam, nicht so viel. Er verfluchte sich, dass er mit so kleiner Auflösung fotografiert hatte. Gut, ja so. Eindeutig eine Person. Ein Mann? Viel gab das nicht her. Er schoss mit einem Gewehr und kniete nahe an der Dachkante. Das Gewehr verdeckte das Gesicht. Lars zoomte die Hände heran. Timo trug rechts einen schmalen Ring mit eingravierten Mustern. Lars bekam nur die Linke, die den Lauf stützte, Handschuhe, klar.
Er blätterte durch die restlichen Fotos. Auf einem kniete der Typ. Er vergrößerte die Kopfpartie. Eine Sturmhaube. Deshalb war alles so undeutlich. Der Kerl trug eine Sturmhaube. Auf dem nächsten Foto war er von der Seite zu sehen.
Lars schaute sich die Statur an. Was hatte der an? Irgendwas Blaues jedenfalls. Konnte das Timo sein? Er hatte keinen Größenvergleich. Schnell blätterte er noch einmal zu der Aufnahme zurück, auf der der Typ direkt auf ihn zu zielen schien. Bei dem Gedanken klopfte sein Herz wieder schneller. Von wegen zu zielen schien. Er hatte in diesem Moment auf ihn gezielt.
Hatte er wirklich auf ihn gezielt? Warum? Heckmann war zu diesem Zeitpunkt schon längst außer Sichtweite.
Jetzt hatte er das Bild gefunden. Er zoomte das Gesicht hinter dem Gewehr heran. Das linke Auge war zusammengekniffen, das rechte offen. Blau. Der Täter hatte blaue Augen.
Wie Timo.
„He, was machst’n du hier. Ich dachte, die haben euch alle abgeknallt an eurem Gymmi.“
Lars erschrak und brauchte einen Moment, bevor er den Bildschirm minimiert hatte. Er drehte sich um. „Hi, Torben, du in der Bücherei, wie kommt’s? Gibt’s neue Bilderbücher?“ Sie waren zusammen zur Grundschule gegangen. Als Lars aufs Campe und Torben zur Realschule gegangen war, hatten sie sich aus den Augen verloren.
„Ich hab dich durchs Fenster gesehen. Mann, die ganze Stadt brodelt. Überall voll die Fernsehteams. Warste dabei? Erzähl mal!“
Lars sprang auf und zog Torben zu sich her. „Hör auf mit dem Geschrei. Meinste, ich will, dass die mich finden.“
„Wer? Hast du geschossen?“ Er lachte laut. „Höchstens mit der Kamera.“
Lars wand sich. „Schrei nicht so, ich habe heute geschwänzt. Weißt du, wie ich jetzt dastehe?“
„Klar, voll der Verdächtige. Sie sagen, ihr wolltet einen Lehrer kalt machen. Timo und die ganze Elfte. Du bist doch Elfte, oder?“
„Wie kommst du auf Timo?“
„Sagen alle. Außerdem habe ich ihn gesehen. Heute Morgen, kurz nach halb neun, oder so. Der hat auch geschwänzt.“
„Wo hast du ihn gesehen?“
„Ich hab’ meine Mutter zur Arbeit gefahren. Das ist er quer über die Straße gerannt, am Haarmannplatz.“
Das half Lars nicht wirklich weiter. „Ich muss los. Sag Keinem, dass du mich gesehen hast.“
Eilig nahm er die Karte aus dem Reader, steckte sie in die Hosentasche und ließ Torben stehen. Doch so leicht ließ der sich nicht abschütteln. „Wo gehste jetzt hin?“
„Nach Hause. Meine Mutter macht sich bestimmt Sorgen.“
17
„Frau Fleck, bitte setzen Sie sich zu uns.“ Kofi und ich saßen im
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