Auszeit für Engel: Roman (German Edition)
Casting hat ihr gesagt, sie soll zehn Pfund abnehmen, obwohl sie schon dünn wie ein Strich war – also erhöht sie ihr Training pro Tag auf vier Stunden. Dann fing sie an zu hungern und ernährte sich von zwölf Weintrauben und fünf Reiskeksen am Tag.«
Das glaubte ich ihr nicht. Niemand könnte davon leben.
»Es stimmt«, sagte Lara. »Ich hatte dauernd Hunger.«
»Obwohl du Schlankheitspillen genommen hast«, warf Emily ein.
»Ja, ich kannte alle Ärzte, die getürkte Rezepte ausgaben. Ich habe so viel Speed genommen – denn nichts anderes sind Schlankmacher –, dass mein Mund dauernd trocken war und mein Herz raste …«
»… und ich war ständig in Mörderlaune.«
»Ich war so arm und so unglücklich. An sechs von sieben Tagen hielt ich mich an meine Diät. Aber an einem von den sieben Tagen – wie beim russischen Roulette, wo man nie weiß, in welcher Kammer die Kugel ist – durchbrach ich meine Diät. Aber wie! Drei Packungen Eis, ein Pfund Schokolade, vier Tüten Kekse … und dann zwang ich mich, es alles auszukotzen.«
»Bulimie«, sagte Emily mit ernster Stimme in meine Richtung. »Nicht, dass es ihr was genützt hätte.«
»Du sagst es. Statt Sprechrollen zu bekommen, kriegte ich nicht einmal mehr Statistenrollen. Sie sagten, mein Typ sei nicht mehr gefragt. Der große, blonde arische Typ war out, jetzt wollten sie Kindfrauen mit großen Augen, die aussahen, als wären sie missbraucht worden.«
Sie machte eine Pause, und Emily half ihr weiter: »Ich war dreiundzwanzig Mal zum Vorsprechen, ohne dass ich einen einzigen Rückruf bekam.«
»Ich war dreiundzwanzig Mal zum Vorsprechen, ohne dass ich einen einzigen Rückruf bekam, und ich hatte seit zwei Jahren keine Rolle mehr gehabt, für die ich Gage bekam. Ich bin völlig pleite und ich werde jeden Tag älter, mein Arsch wird schlaff, und mein Gesicht faltig, und jeden Tag kommen tausend echte Neunzehnjährige in die Stadt und bieten ihre frischen Teenager-Körper feil. Ich konnte es nicht ertragen, weiter zu kellnern, ich konnte es einfach nicht mehr, also schlief ich mit einem Regisseur – einem Mann –, der mir eine Rolle versprach. Die hat sich nie ergeben. Ich war so verzweifelt, dass ich mit einem Autor schlief.«
»Warum ist es schlimmer, mit einem Autor zu schlafen als mit einem Regisseur?«
Emily und Lara schmunzelten. »Weil ein Autor in Hollywood keine Macht hat. Sie sind die Amöben in der Nahrungskette von Hollywood und rangieren noch niedriger als die, die bei den Dreharbeiten das Catering machen.«
»Dann, als ich dachte, dass es schlimmer nicht mehr werden könnte, warf meine Geliebte mich raus. Sie hatte herausgefunden, dass ich mit dem Regisseur geschlafen hatte. Ich hatte keine Arbeit, kein Geld, keine Geliebte, keine Selbstachtung – noch nicht mal Reiskekse. Die lange, dunkle Cocktailstunde der Seele.« Sie lachte, fügte dann aber noch hinzu: »Es war schrecklich, das sage ich euch. Der Traum war ausgeträumt, ich wusste, ich war geschlagen, und es brach mir schier das Herz. Ich sah mich schon im Bus zurück nach Portland und kam mir vor wie die größte Niete aller Zeiten. Das wär’s – mein schmuddeliges Leben als Schauspielerin!«
»Wenigstens hast du nie in einem Pornofilm mitgemacht«, tröstete ich sie.
»Und ob.« Sie klang überrascht. »Ich habe es sogar in meinem Lebenslauf erwähnt. Eine Zeit lang wenigstens.«
»Und die Moral von der Geschichte«, forderte Emily sie auf. »Lass dich nicht ablenken.«
»Die Moral von der Geschichte ist, dass ich glaubte, ich würde nie wieder glücklich sein«, sagte Lara. »Ich war sechsundzwanzig Jahre alt und leer gepumpt. Ich hatte Schönheitsoperationen machen lassen, ich hatte Jahre meines Lebens gegeben, ich hatte meine ganze Hoffnung eingesetzt und nichts dafür bekommen. Ich hasste mich und wollte tot sein.«
»Sie hat versucht, sich die Pulsadern aufzuschneiden«, sagte Emily.
»Doch selbst das gelang mir nicht. Wusstest du, dass man es längs und nicht quer rüber macht?«
»Ja.«
»Du bist klüger als ich. Aber dann ging es weiter, mein Leben wurde besser. Ich beschloss, meine Träume fahren zu lassen, weil sie mich umbrachten, und ich hörte auf, Unmögliches von mir zu verlangen. Ich kam zu einer anderen Einstellung und wollte mich auf das konzentrieren, was ich erreicht hatte, und nicht auf das, was ich nicht haben konnte. Und vor allem wollte ich nicht bitter werden.«
»Also bist du aufs College gegangen«, sagte Emily.
»Also
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