Auszeit für Engel: Roman (German Edition)
selbstbewusst.
»Nein, ich meine, er hat sie angesehen. Angesehen, mit den Augen.«
»Womit soll er sie denn sonst ansehen?«, fuhr Mum sie an. »Mit den Füßen?«
Bevor ich die Mischung der Gefühle, die das in mir hervorrief, sortieren konnte, sagte Anna etwas, das mich überraschte. »Er will von allen gemocht werden.«
»Und was ist daran auszusetzen?«, fragte Mum. »Außerdem mögen ihn auch alle.«
»Ich nicht«, sagte Helen.
»Du bist einfach widerborstig.«
»Ach, geh nach Hause, ich bin müde, und du ärgerst mich.«
»Ich gehe auch, aber nur weil ich es will. Komm!«, sagte Mum zu Dad, als wäre er ein folgsamer Hund. »Dann haben wir es schneller hinter uns.«
»Wohin geht ihr?«
»Nach nebenan, zum Märchenabend.«
Als wir zu Ende gelacht hatten, sagte ich: »Warum gehst du denn, wenn du keine Lust hast?«
»Na, was sollte ich denn sagen?«, sagte Mum entrüstet. »Dieser Mike hat mich richtig in die Enge getrieben, neulich.«
»Geh doch einfach nicht hin«, schlug Helen vor. »Sollen sie sehen, wo sie bleiben.«
»Nein.« Plötzlich hielt Mum die Nase ganz hoch. »Wenn ich sage, dass ich etwas tue, dann tue ich es auch. Ich breche mein Wort nicht. Wir gehen eine Stunde rüber, aus Höflichkeit, und dann sagen wir, wir haben noch eine Verabredung.«
»Sag, dass du in den Viper Room gehst«, warf Helen ein. »Da ist heute Oldies Night.«
»In den Viper Room«, wiederholte Mum. »Ist in Ordnung. Und wenn wir in anderthalb Stunden nicht wieder da sind, dann holt ihr uns ab.«
Als sie gegangen waren, sagte Helen ganz geschäftsmäßig: »Also, den Typ mit der großen Rübe, Troy, den finde ich merkwürdig attraktiv.«
»Zieh dir eine Nummer und stell dich hinten an«, sagte Emily, wie sie es einmal auch zu mir gesagt hatte. »›Und verlieb dich nicht in mich, Baby, denn ich breche dir das Herz.‹«
»Verlieben«, höhnte Helen und amüsierte sich prächtig. »Das ist ja gut. Wer von euch hat mit ihm geschlafen?« Sie sah Emily neugierig an. »Du doch bestimmt.«
»Frag Maggie.«
Ich zuckte die Achseln, und Helen durchbohrte mich mit Blicken. »Du ? Du?«
»Ja, ich.«
»Aber … aber du bist die Brave.«
»Ach ja?«
Sie sah mich misstrauisch an. »Aber zwischen dir und diesem Troy, da ist jetzt nichts, oder?«
»Nein.«
»Also, hast du was dagegen, wenn ich mich an ihn heranmache?«
»Mit mir hat das nichts zu tun.«
»Vielleicht solltest du das mit seiner Freundin klären.« Emily klang überraschend scharf.
»Mit wem? Dem Ringelköpfchen?« Helen lachte leise. »Ich glaube nicht, dass ich mit ihr Probleme bekomme. Jetzt erzählt mir mal von dieser Lara. Die Jungen von nebenan haben gesagt, sie sei lesbisch. Ich wüsste gern, wie es ist, wenn man mit einer Frau schläft«, sagte sie verträumt – aber nur, weil sie ein bisschen Aufmerksamkeit wecken wollte. »Was sie im Bett wohl so treiben?«
»Frag Maggie.«
»HAHAHAHA!«, platzte Helen heraus. Dann, als wäre sie gegen eine Mauer aus Granit geprallt, hörte sie auf. Die Farbe wich aus ihrem Gesicht. »Das glaube ich nicht.«
Ich zuckte wieder die Schultern. »Wie du willst.« Ich hatte meinen Spaß.
»Wann?«
»Letzte Woche.«
»Das glaube ich nicht. Ich frage Lara.«
»Mach nur«, entgegnete ich gleichmütig.
Die nächste Stunde starrte Helen mich an, als hätte sie mich noch nie gesehen, schüttelte immer wieder den Kopf und sagte: »Ich glaub es nicht. Ich glaub es nicht …«, und hörte erst auf, als Emily einen Blick auf die Uhr warf und rief: »Was ist mit euren Eltern? Sie sind jetzt schon fast anderthalb Stunden drüben. Sollen wir sie retten gehen?«
»Klar. Los, gehen wir.«
Wir gingen nacheinander aus dem Haus, standen auf der Straße und sahen durch das Fenster in das Wohnzimmer von Mike und Charmaine. Mum saß in würdevoller Haltung auf einem Stuhl, und die anderen hatten sich ihr zu Füßen gesetzt. Sie sprach und lächelte. Dad saß auf der Couch, wegen der Halskrause hielt er den Kopf ungewöhnlich still. Auch er lächelte.
Ich klopfte an die Scheibe in der Haustür, worauf ein schlanker, bärtiger Typ zur Tür kam und einen Finger an die Lippen legte. »Es ist die Geschichte von dem berühmten Seamus, wie er die Liebe der Tochter des Arztes gewann.«
Emily, Helen, Anna und ich sahen uns verdutzt an, gingen mit ihm hinein und setzten uns auf den Fußboden. Ich war sofort ernsthaft besorgt. Mum sprach mit einem deutlicheren irischen Akzent als sonst und versetzte ihre Rede alarmierend
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