Auszeit für Engel: Roman (German Edition)
oft mit »Musha« und »Wisha«.
»… Wisha, der tapfere Junge Seamus schaffte alles. Er konnte mit Treckern rückwärts fahren, Rauch machen und was das Tanzen anging! Musha, er war der außerordentlichste Tänzer, den ihr je gesehen habt, er konnte auf einem Teller tanzen …«
Ich war entsetzt, dass sie eine solche Schau abzog. Aber als ich meinen Blick über die Gesichter ihrer Zuhörer wandern ließ, musste ich erkennen: Sie waren wie verzaubert. Jeder Einzelne hing an ihren Lippen. Man hätte eine Stecknadel zu Boden fallen hören können.
»Er konnte den Jive, er konnte den Linientanz, und er konnte den achthändigen Rundtanz. Aber er hatte auch Grips, musha, jede Menge Grips! Er hatte viele Bücher studiert …«
»Bücher studiert?«, flüsterte Emily. »Was macht sie da bloß?«
»Pssst.« Ein Katalog-Model für Batikfärben zischte sie heftig an.
»… und er brach die Herzen aller Frauen in Irland. Alle Mütter in den Städten hatten ein Auge auf ihn geworfen.« Eine gekonnte, effektvolle Pause. »Aber nicht nur wegen ihrer Töchter!«
Großes Gelächter brach aus, und ich nutzte die Gelegenheit der Unterbrechung, um ihr mit Gesten anzudeuten, sie möge zum Schluss kommen. Sie sah mich und nickte. Allerdings sah sie enttäuscht aus.
»Meine lieben Zuhörer.« Sie übertönte das Lachen. »Liebe Zuhörer, wie Sie bemerken können, sind meine Töchter gekommen, sie wollen mit mir in den Viper Room gehen.«
Sofort flogen die Köpfe zu uns herum, und finstere Blicke trafen uns.
»Deswegen sage ich widerstrebend Lebewohl.«
»Wie redet sie nur?«, sagte Helen.
»Könnt ihr nicht fünf Minuten warten?«, fragte ein dicker Mann mit Pferdeschwanz aggressiv. »Wir wollen das Ende der Geschichte hören.«
»Genau«, fielen die anderen ein, »soll Johnny Depp doch warten.«
Wieso wurden wir eigentlich beschimpft? »In Ordnung«, sagte ich. »Ist uns recht.«
»Wisha«, sagte Mum scheu. »Ich ahnte nicht, dass es euch so viel Freude macht. Aber natürlich, wenn ihr darauf besteht …«
»Wir bestehen darauf!«, riefen alle im Chor, dann berührte einer ihrer Anhänger in der ersten Reihe sie sanft am Arm und sagte: »Erzählen Sie weiter, Mammy Walsh.«
Mammy Walsh erzählte noch eine ganze Weile weiter, und als man sie endlich gehen ließ, schwebte sie auf einer Wolke, und Dad ebenso. Leider schlug die Stimmung etwas um, als wir auf der Straße waren und sie feststellte, dass wir nicht wirklich mit ihr zum Viper Room wollten und dass es nur eine Ausflucht war – der sie selbst zugestimmt hatte, wie wir ihr klar machen mussten –, damit sie einen Grund hatte zu gehen.
»Aber ich will in den Viper Room.« Sie klang wie ein verwöhntes Kind.
»Das geht nicht, du bist zu alt dazu!«, sagte Helen.
»Aber ihr habt gesagt, es ist Oldies Night.«
»Das war ein Witz. Und wir sind müde, der Jetlag plagt uns, und wir wollen ins Bett.«
Mum sah Emily und mich an, und ihr Ausdruck sagte: »Et tu, Brute?«
»Ich muss mit meinem Drehbuch weitermachen«, sagte Emily unsicher. »Ich brauche meine Ruhe.«
»Und ich helfe ihr. Gute Nacht, wir sehen uns morgen.«
Emily und ich liefen schnell ins Haus und machten die Tür hinter uns zu, aber von der Straße konnten wir hören, wie sie weiterjammerte: »Aber ich habe Ferien. Ihr seid richtige Spielverderber.«
40
D ie Ferien, die Garv und mir so gut tun sollten, bewirkten genau das Gegenteil. Wir kamen völlig zermürbt zurück, verfolgt von dem schrecklichen Argwohn, dass alles, was wir zusammen anpackten, zum Scheitern verurteilt war, und dass wir unaufhaltsam auf eine Katastrophe zurasten. Je mehr wir uns aus dem Schlamassel zu befreien versuchten, desto tiefer gerieten wir hinein.
Die Atmosphäre zwischen uns blieb gespannt, und ein paar Mal bemerkte ich, wie Garv mich vorwurfsvoll ansah. Ungefähr zehn Tage nach unserer Rückkehr hatten wir einen neuen Termin bei Dr. Collins, meinem Gynäkologen, von dem wir den Grund erfahren wollten, warum ich zwei Fehlgeburten hatte. In seinem Behandlungszimmer war es, dass auch das Letzte, was uns noch zusammenhielt, wegbrach. Ich weiß fast auf die Sekunde genau, wann unsere Ehe endgültig vorbei war.
Jedoch ist es mit endgültigen Schlägen oft so, dass man zu dem Zeitpunkt, da sie eintreten, nicht weiß, dass sie endgültig sind. Man ahnt, dass es ein schlechter Augenblick war, dass er nichts Gutes gebracht hat, aber erst im Lauf der Zeit erkennt man, wie schrecklich der Moment tatsächlich war.
Schuld
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