Auszeit für Engel: Roman (German Edition)
was die Normalität ausmachte. Wir gingen zur Arbeit, trafen uns abends gelegentlich mit unseren Freunden, wo wir so taten, als sei alles in Ordnung, gingen zu Bett, ohne uns zu berühren, schliefen ein paar Stunden, bevor wir um vier Uhr aufwachten, um uns Sorgen zu machen. Ja, natürlich fragte ich mich, wann es zwischen uns besser werden würde. Ich war immer noch überzeugt, dass diese schreckliche Phase zu Ende gehen würde. Bis ich eines Nachts, kurz vor dem endgültigen Bruch, plötzlich und unfreiwillig die Dinge wie mit Röntgenaugen durchschauen konnte. Ich konnte durch die Polsterung der alltäglichen Routine, der Privatsprache und der gemeinsamen Vergangenheit sehen, bis hinein in das Herz von dem, was Garv und mich verband, hinein in alles, was in letzter Zeit passiert war. Der ganze Rest war wie weggefegt, und ich hatte nur den einen schrecklichen, allzu klaren Gedanken: Wir haben enorme Probleme.
Inzwischen waren drei Monate seit den Ferien auf St. Lucia vergangen.
Der Tag, an dem wir uns mit Liam und Elaine treffen sollten, begann nicht anders als alle anderen auch. Niemand hätte voraussagen können, dass dies der Tag war, an dem die wacklige Konstruktion einstürzen würde. Doch plötzlich reihten sich die Ereignisse mit einer Unerbittlichkeit aneinander – der Bildschirm, der Liam auf den Zeh gefallen war, der Anruf, bei dem ich Garv sagte, dass ich einkaufen würde, die Schachtel mit Trüffeln aus der Tiefkühltruhe –, die damit endeten, dass Garv die Schachtel aus dem Beutel nahm und rief: »He, guck mal! Hier sind wieder diese Pralinen. Ob sie uns verfolgen?«
Ich sah ihn an, sah die Schachtel an und wieder ihn. Verblüfft.
»Du weißt schon«, sagte er glücklich. »Die hatten wir doch, als –«
Und dann wurde alles durchsichtig, und ich begriff. Er sprach von einer anderen, einer anderen Frau.
Ich hatte das Gefühl zu fallen, immer weiter, immer tiefer. Ich befahl mir, damit aufzuhören. Das Spiel war aus, das Ende war da, und ich konnte nicht mehr. Ich konnte nicht mit ansehen, wie das Zusammenbrechen meiner Ehe andere Menschen ergriff und sie mit in den Abgrund riss.
41
A m Freitag ging Dad zum Chiropraktiker, und Mum, Helen und Anna machten einen Ausflug zum Rodeo Drive. Mum hatte unbedingt mitkommen wollen, obwohl wir ihr gesagt hatten, dass es sehr teuer sei. Aber sie würde trotzdem ihr Vergnügen haben, und wenn es nur darin bestünde, über die unverschämt hohen Preise die Nase zu rümpfen.
Ich konnte sie nicht begleiten, denn ich musste Emily dabei helfen, die letzten Nägel in den Sarg zu hämmern, wie sie selbst es formulierte, den ihr umgeschriebenes Drehbuch darstellte. Larry Savage wollte es mittags haben, also wurden alle Kräfte mobilisiert. Wir arbeiteten den ganzen Morgen, lasen das Skript laut vor und prüften es auf Kohärenz und Kontinuität. Um die Mittagszeit – »High Noon«, wie Emily immer sagte – druckten wir es aus, der Kurier kam, und Emily küsste das Päckchen und sagte: »Viel Glück, du armer Bastard.«
Unmittelbar darauf legte Emily sich völlig erschöpft ins Bett. Zusammen mit Lou. Und ich hatte plötzlich nichts zu tun. Für den Strand war es zu heiß, im Fernsehen gab es nichts, und ich wollte nicht einkaufen gehen, weil ich Angst hatte, Geld auszugeben.
Meine Gedanken wandten sich dem geplanten Essen zu. Ich war mir ziemlich sicher, dass Shay nicht aufkreuzen würde; als Dad ihm die Einladung aufdrängte, hatte Shays Miene eine deutliche Sprache gesprochen. Er war keinesfalls erfreut gewesen, sondern hatte nur angenommen, um nicht unhöflich zu
sein, und es würde mich nicht wundern, wenn er eine Nachricht schickte und vorgab, verhindert zu sein.
Und wenn er doch käme? Was wäre dann?
Auf der Stelle beschloss ich, mir die Haare waschen und föhnen zu lassen. Außer Reza kannte ich niemanden, der das machen konnte.
Ich rief an und machte einen Termin, und als ich in den Laden kam, wunderte ich mich nicht darüber, dass Reza unfreundlich war – aber sie war auch nicht so brüsk wie beim ersten Mal. Eher schien sie ein wenig gedämpft. Während sie mein Haar schamponierte, seufzte sie ein paarmal über meinen Kopf hinweg, dann fing sie an zu föhnen und zog die einzelnen Strähnen mit so kräftigen Bewegungen über die Bürste, dass sie auszureißen drohten, und dabei seufzte sie weiter aus tiefstem Herzen.
Erneut stieß sie einen Seufzer aus, der von ihren Zehenspitzen emporstieg und über mich hinwegwehte wie ein Orkan.
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