Auszeit für Engel: Roman (German Edition)
daran ist meiner Ansicht nach die Gewohnheit. Die Gewohnheit verschleiert die Katastrophe. Man denkt, wenn man morgens aufsteht, sich saubere Sachen anzieht, zur Arbeit geht, hin und wieder etwas isst, und fernsieht, dass alles seinen
normalen Gang geht. Und all das taten wir, während wir gleichzeitig das Gewicht unserer kränkelnden Beziehung mit uns schleppten.
Nach der ersten Fehlgeburt waren wir beide sehr begierig gewesen, einen zweiten Versuch zu wagen. Wir setzten große Hoffnung darauf, dass eine zweite Schwangerschaft unsere Traurigkeit auslöschen würde. Aber diesmal war es anders. Ich hatte Angst, wieder schwanger zu werden, weil ich Angst vor einer neuen Fehlgeburt hatte. Dennoch studierte ich regelmäßig meine Temperaturkurve, und Garv und ich schliefen pflichtbewusst miteinander, wenn die Zeichen günstig waren. Bis eines Tages etwas passierte, das bis dahin noch nie vorgekommen war. Wir waren im Bett, Garv war im Begriff, in mich einzudringen, als ich bemerkte, dass er in Nöten war. Seine Erektion war plötzlich weich und biegsam geworden.
»Was ist los?«, fragte ich ihn.
»Es ist nur …«, sagte er und versuchte es wieder.
Aber es war aussichtslos, und vor meinen Augen schrumpfte der harte Schwengel zu einem verschämten Marshmallow.
»Tut mir Leid«, sagte er. Er rollte sich weg von mir und starrte ins Leere. »Es muss am Alkohol liegen.«
»Du hast doch nur zwei Halbe getrunken. Es liegt an mir. Du begehrst mich nicht mehr.«
»Es liegt nicht an dir. Natürlich begehre ich dich.«
Er nahm mich in die Arme, und wir lagen eng umschlungen, jeder starr in seinem eigenen Unglück gefangen.
Als wir das nächste Mal miteinander schlafen wollten, passierte es wieder, und Garv war kreuzunglücklich. Ich wusste aus Cosmopolitan und aus Gesprächen mit meinen Freundinnen, dass dies das Schlimmste war, was einem Mann widerfahren konnte: Seine ganze Männlichkeit stand auf dem Spiel. Aber ich war nicht in der Lage, ihn zu trösten. Ich kreiste zu sehr um mich selbst, ich war gekränkt, weil ich mich zurückgewiesen fühlte, ich war böse, weil er so nutzlos war – wie könnten wir je ein Kind bekommen, wenn es so um uns bestellt war?
Wir machten einen weiteren katastrophalen Versuch, und danach beschlossen wir in schweigender Übereinkunft, es
nicht noch einmal zu wagen. Von dem Moment an berührten wir uns kaum noch.
An einem Sonntagabend guckten wir ein Video – ich glaube, es war Men in Black –, in dem es darum ging, dass die Welt untergehen würde, wenn nicht jemand ganz schnell eine Heldentat vollbrachte. Es war gegen Ende des Films, die Zeit wurde knapp, die Musik schwoll an, die Spannung stieg … und plötzlich sagte Garv: »Was macht es schon?«
»Wie meinst du das?«
»Was macht das schon? Soll die Welt doch untergehen. Das wäre das Beste für uns alle.«
Das stand so sehr im Widerspruch zu seinem Wesen, dass ich mich vergewissern musste, ob er einen Witz machte. Aber natürlich war es kein Witz. Ich betrachtete diesen Mann, der da zusammengesunken auf dem Sofa saß, die Haare wirr, das Gesicht verschlossen, und fragte mich, wer er wohl sei.
Am nächsten Morgen stand ich auf, duschte, trank eine Tasse Kaffee, und er lag immer noch im Bett. »Steh auf, du kommst zu spät«, sagte ich.
»Ich stehe nicht auf, ich bleibe im Bett.«
Das hatte er noch nie gemacht. »Warum?«
Er antwortete nicht, und ich fragte noch einmal: »Warum?«
»Aus steuerlichen Gründen«, murmelte er und drehte das Gesicht zur Wand.
Einen Moment lang starrte ich auf den reglosen Körper unter der Bettdecke, dann ging ich aus dem Zimmer und fuhr zur Arbeit. Er wollte nicht mit mir sprechen, und ich war noch nicht einmal richtig unglücklich darüber. Die Spannungen zwischen uns stürzten mich nicht mehr in bodenlose Verzweiflung, sie lagerten sich einfach übereinander ab. Wahrscheinlich konnte ich nicht tiefer stürzen, ich war schon ganz unten.
Abgesehen davon, dass wir – allerdings nie zusammen – gelegentlich einen Tag blaumachten, hielten wir an unserem Trott fest und liefen immer weiter, wie Hamster in einem Laufrad. Wir dachten, wir machten Fortschritte, aber wir brachten nur die Zeit hinter uns und erreichten gar nichts. Damals fing ich an, meine Kontaktlinsen zu trinken.
Klick, klick, klick , so verging ein Tag nach dem anderen. Wir bezahlten unsere Hypothek, wir staunten über unsere enormen Telefonrechnungen, wir besprachen Donnas Liebesleben – alles vertraute Dinge, das,
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