Auszeit für Engel: Roman (German Edition)
Zeitungen hatten darüber berichtet, vor allem auch über die Tatsache, dass alle objets zum Verkauf standen –, aber ich war noch nie dort gewesen, während Emily, die erst drei Tage zuvor nach Hause gekommen war, schon zweimal dort gewesen war. Wir setzten uns an einen Ecktisch und bestellten eine Flasche Wein, und Emily fing an, mir zu erzählen, was sich alles in ihrem Leben seit unserem letzten Treffen ereignet hatte. Sie weigerte sich, über ihre Arbeit als Drehbuchautorin zu sprechen – »Bloß nicht vom Krieg reden«, stöhnte sie –, und erzählte mir stattdessen von ihrem Liebesleben: Sie war mit einem Schwulen ausgegangen, der darauf bestand, dass er hetero war. Und mit einem Hetero, der behauptete, schwul zu sein. Sie erzählte wunderbar und ließ keine Einzelheit aus. Ihre Methode war nicht die der groben Pinselstriche. Packender Stoff.
Sie schien immer viel mehr zu erzählen als ich. Aber in ihrem Leben gab es auch mehr, das sich zu erzählen lohnte. Als wir endlich ihr Leben bis zur Gegenwart durch hatten, war die zweite Flasche Wein fast leer.
»Jetzt bist du dran«, befahl sie. »Was ist das für eine Geschichte mit den Kaninchen?« Sie runzelte die Stirn. »Und was muss eine Frau denn machen, um hier was zu trinken zu bekommen?«
Ich seufzte, hob zu meiner traurigen Geschichte an, als ich in der Menge meine Schwester Claire erblickte.
»Was machst du denn hier?«, rief sie. Dann sah sie Emily und wusste Bescheid. Sie plauderte ein wenig mit uns, dann entdeckte sie die Freunde, mit denen sie verabredet war, und ging zu ihnen. Kaum war sie außer Hörweite, da murmelte Emily finster: »Ach ja? Haust einfach ab und setzt dich zu den Leuten am GROSSEN Tisch, was?«
Sie sah mich ruhig an – zumindest dachte ich das damals,
wahrscheinlich wankten wir beide im gleichen Rhythmus. »Ich hab was wider deine Schwester. Und«, fügte sie großmäulig hinzu, »wider ihre Freunde.«
Ich sah zu den Leuten, bei denen Claire jetzt saß. Als sie sich begrüßten, wurde laut gelacht und durcheinander geredet. Ich fühlte einen seltsamen Stich, weil ich ausgeschlossen war.
»Ich hab auch was gegen sie!«
»Du hast nichts gegen sie.«
Nein?
»Nein«, sagte Emily, legte den Kopf in den Nacken und ließ sich den letzten Tropfen durch die Kehle rinnen. »Du hast was wider sie!«
Mir auch recht. Ich hatte was wider sie.
Es gelang uns, noch eine Flasche Wein zu bekommen, dann beschlossen wir, in ein anderes Lokal zu gehen, wo die Leute nicht so irritierend sein würden. Als wir uns durch die Menge quetschten, kamen wir an dem Tisch mit Claire und ihren Freunden vorbei.
»Wir gehen jetzt«, sagte Emily hochmütig. »Keineswegs euer Verdienst.«
Kryptisch, ich weiß, aber damals hörte es sich sehr sinnvoll an.
In der Lobby beschlossen wir, ein kleines Tänzchen zu wagen. Ich weiß nicht mehr, wessen Idee es war, aber wir fanden sie beide gut. Wir stellten unsere Handtaschen ab und tanzten um sie herum, bevor wir unter Gegacker in die Nacht verschwanden. Noch heute sehe ich die erstaunten Mienen der drei wesentlich nüchterneren Männer vor mir, die in der Nähe standen.
Auf der Straße winkten wir ein Taxi herbei und forderten den Fahrer auf – bestimmt klang es eher wie ein Befehl –, uns in die Grafton Street zu fahren. Nach kürzester Zeit waren wir wider den Fahrer eingestellt und hatten die paranoide Überzeugung, dass er uns auf Umwegen zum Ziel brachte, damit er ordentlich abkassieren konnte.
»Ich muss so rum fahren – auf der Brücke darf man nicht rechts abbiegen«, verteidigte er sich.
»Klar«, höhnte Emily. »Mir können Sie nichts vormachen, ich wohne hier«, log sie aggressiv. »Ich bin keine Touristin.« Dann stieß sie mir ihren kleinen, spitzen Ellboden in die Rippen und kicherte heiser. »Guck mal, Maggie!« Sie sperrte ihre Handtasche weit auf – wie ein Zahnarzt den Mund des Patienten, wenn er den hintersten Backenzahn untersuchen will –, wo sich zwischen ihrer (nachgemachten) Louis-Vuitton-Brieftasche und ihrem (echten) Prada-Make-up-Täschchen einer der Aschenbecher aus dem Hotel ins Futter schmiegte. Ich meine mich sogar zu erinnern, dass ein Preisschild für dreißig Pfund dranklebte.
»Woher hast du den?«
Als ob ich die Antwort nicht wüsste! Wenn Emily unter Stress steht, fängt sie an zu stehlen, und ich finde das abscheulich. Warum ist sie nicht mehr so wie ich? Wenn ich Stress habe, bricht an meinem rechten Arm ein Ekzem aus. Nicht, dass das angenehm ist,
Weitere Kostenlose Bücher