Auszeit
Seelenbefinden! Der Psychologe Abraham Maslow bezeichnete die »Gewöhnungen an unsere Segnungen« als eine wesentliche Ursache »menschlichen Übels, menschlicher Tragödie und menschlichen Leidens«. Und dann meinen wir, wieder loslaufen zu müssen, um dieses und jenes noch zu erlangen … Ein Lauf im Hamsterrad, der nie endet, es sei denn, wir wachen auf, bevor unsere Gesundheit, unsere Seele und wir selbst auf der Strecke bleiben.
Letztlich ist es für unsere innere Erfüllung und unsere Zufriedenheit völlig egal, auf welchem materiellen Niveau wir leben (vorausgesetzt die Grundbedürfnisse sind gesichert). Es wird immer Millionen von Menschen geben, die viel weniger haben, und immer unzählige, die viel reicher sind. Auf jedem Lebensniveau gibt es Höhen und Tiefen, materielle wie seelischemotionale. Mit anderen Worten: Ein Stück Land brauchen wir, aber die Anzahl der Hektar ist letztlich ohne Belang. Was ich |92| ohne Stress erreichen kann, ist gut, und wofür ich mich abhetzen muss, bringt in der Regel keinen Mehrwert an Glück.
Fragen zum Nachdenken
In welchen Bereichen renne ich ähnlich wie der Bauer im Glauben, ich müsse noch dieses oder jenes erreichen oder mitnehmen?
Welche anderen Bereiche meines Lebens leiden darunter oder kommen zu kurz?
Wie viel brauche ich eigentlich wirklich?
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|93| Nähe und Distanz
Als ein unerwartet strenger Winter ins Land gezogen war und die meisten Tiere sich zum Winterschlaf zurückzogen, suchte sich auch eine Gruppe von Stachelschweinen eine wärmende Höhle. Sie verschlossen den Eingang und drängten sich dicht aneinander, um sich gegen die Kälte zu schützen.
Doch schon nach kurzer Zeit machten sie eine unangenehme Feststellung: In der Enge der Behausung verletzten sie sich gegenseitig mit ihren Stacheln und mussten die angenehme Temperatur mit Schmerzen bezahlen.
Auf den Rat der Ältesten hin suchten sie sich eine größere Höhle.
Diese bot genügend Platz, um die Stacheln auszubreiten, hatte aber den Nachteil, dass die einzelnen Tiere jetzt die nachbarliche Wärme entbehren mussten. Sie froren ganz erbärmlich.
Man war gezwungen, eine neuerliche Versammlung abzuhalten , in der Folgendes beschlossen wurde: Jedes Mitglied der Stachelschweingemeinschaft solle so weit von seinem Nachbarn entfernt sein, dass es den andern nicht verletze, aber doch wiederum gerade so nahe, dass es auch in den Genuss der Wärmeausstrahlung seines Artgenossen komme.
Diese Vereinbarung wurde eingehalten, und so über standen |94| sie friedlich und wohlbehalten den Winter.
Wir alle sind gewissermaßen wie Stachelschweine und brauchen im Kontakt mit anderen Menschen genügend Abstand, aber auch ausreichend Nähe. Von der Ausgewogenheit dieses Verhältnisses hängt es ab, ob wir uns wohl, bedrängt oder einsam fühlen. Zu viel erdrückende Nähe kann genauso unerträglich sein wie zu viel Abstand: im ersten Kontakt mit einem Menschen, in Freundschaften, in einer Beziehung oder der Ehe genauso wie im Verhältnis zu Kindern.
Warum? Alle Menschen haben ein Urbedürfnis nach Nähe und Geborgenheit, nach Kontakt und Begegnung, es ist gewissermaßen ein archetypisches Grundmuster. Nicht nur als Kleinkinder, sondern auch später im Leben. Je weniger dieses Urbedürfnis befriedigt wird, je mehr Nähe, Zuwendung und zwischenmenschlicher Kontakt fehlen, umso kostbarer und ersehnter werden diese. Eine Erfahrung, die leider vor allem alte und einsame Menschen machen.
Doch wie auch schon Babys bisweilen Raum für sich und Zeiten des Alleinseins benötigen, braucht man auch als Erwachsener genügend Abstand, um atmen zu können, um mit sich selbst zu sein und sich entfalten zu können. Denn zu viel Nähe kann zum Verlust des Kontaktes mit uns selbst führen. (Mehr zu diesem Aspekt finden Sie im Kapitel »Alleinsein«, S. 17.) Zu leicht verliert man dann das Gespür für die eigenen Gefühle und Bedürfnisse, und es besteht die Gefahr, sich aufzugeben und nur noch bezogen auf den anderen zu leben. Die meisten werden dabei unzufrieden, unglücklich und fühlen sich eingesperrt. So paradox es zunächst klingen mag: Zu viel Nähe kann Liebe ersticken. Wenn der notwendige äußere Abstand fehlt, werden wir häufig innerlich auf Abstand gehen und uns emotional distanzieren.
In jeder Beziehung geht es um den Balanceakt zwischen genügend Nähe und Gemeinsamkeiten einerseits und genügend Abstand und Raum für sich andererseits, will man die Flamme der |95| Liebe am Leben erhalten.
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