Auszeit
zu Gott, allerdings ohne Furcht, da Liebe und Angst sich bekanntlich ausschließen.
Fragen zum Nachdenken
Was bedeutet »Gott zu lieben« und »die Menschen zu lieben« für mich?
Sorge ich ausreichend dafür, dass es mir gutgeht? Könnte ich bejahen, mich selbst zu lieben, oder was, glaube ich, steht dem entgegen?
Was tue ich (oder könnte ich tun), um andere Menschen zu unterstützen, dass sie besser für sich sorgen?
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|175| Starre Überzeugungen
In der Regel, so denkt man, passt der vernünftige Mensch sein Denken den Tatsachen an. Ändern sich die Dinge, so verändert sich auch die Sicht darauf. Jedenfalls nimmt man an, das müsste so sein. Und doch hat es der Mensch im Laufe der Geschichte bis in die heutige Zeit immer wieder geschafft, entgegen aller Vernunft an seinen Überzeugungen festzuhalten, ja mit aller Kraft die Augen vor nachgewiesenen Tatsachen zu verschließen, manchmal sogar unter Aufbringung aller nur denkbaren Argumentationsklimmzüge:
Ein christlicher Gelehrter, der die Bibel für die buchstäbliche Wahrheit hielt, wurde von einem Wissenschaftler beiseitegenommen , der sagte: »Der Bibel zufolge wurde die Erde vor etwa fünftausend Jahren erschaffen. Wir haben jedoch Knochen gefunden, die auf ein Leben auf der Erde schon vor einer Million Jahren hinweisen.«
Ohne Zögern kam die Antwort: »Als Gott die Erde vor fünftausend Jahren schuf, tat er diese Knochen absichtlich hinein, um unseren Glauben zu prüfen und zu sehen, ob wir eher seinem Wort oder wissenschaftlicher Beweisführung glauben würden.«
Natürlich kann man als Leser dabei zunächst schmunzeln, doch spiegelt sich hier eine Geisteshaltung, die sich in der ganzen Menschheitsgeschichte immer wieder neuen Erkenntnissen widersetzt |176| hat: Weil nicht sein kann, was nicht sein darf! Dahinter verbirgt sich oft die große Angst, dass mit einer Veränderung des weltanschaulichen Systems alles in sich zusammenbrechen und man den festen Boden der überlieferten Überzeugung unter den Füßen verlieren würde. So entfaltet der Mensch all seine Kreativität, nur um seine Sicht der Dinge aufrechtzuerhalten. Dass sich starre Überzeugungen selbst über alle Grenzen der Logik hinwegsetzen können, zeigt auch die folgende Geschichte:
Ein Patient kommt zum Arzt mit der festen Überzeugung, dass er tot sei.
Alle Versuche des Arztes, ihm das Gegenteil zu beweisen , schlagen fehl. Dabei hat er schon auf die Körpertemperatur , auf die Atemfunktionen und vieles andere hingewiesen .
Schließlich zieht er seinen letzten Trumpf aus dem Ärmel und fragt den Patienten: »Sagen Sie mal, bluten Leichen eigentlich?«
Der Patient antwortet entrüstet: »Natürlich nicht.«
Daraufhin nimmt der Arzt eine bereits vorbereitete Nadel und sticht dem Patienten in die Hand. Es beginnt zu bluten.
Der Arzt fragt den Patienten: »Na, was sagen Sie jetzt?«
Der Patient antwortet: »Oh, ich habe mich getäuscht. Leichen bluten doch!«
Kaum zu glauben, doch allzu verbreitet ist dieses starre Festhalten an Überzeugungen im Großen wie im Kleinen. So wurde im Mittelalter gegen schon vorliegende Beweise leugnet, dass die Erde keine Scheibe, sondern eine Kugel sei, ebenso wie man nicht bereit war, die Ansicht aufzugeben, die Erde sei der Mittelpunkt des Weltalls. Etliche landeten dafür im Gefängnis, auf der Folterbank oder schließlich auf dem Scheiterhaufen. |177| Nicht selten hört man von Menschen, die zu Unrecht zu langen Haftstrafen oder zum Tod verurteilt wurden, nur weil alle, einschließlich der Richter von ihrer Schuld überzeugt waren und alle Gegenindizien außer Betracht gelassen wurden. Sehr anschaulich wird dieser psychologische Prozess in dem Filmklassiker Die 12 Geschworenen dargestellt. Elf dieser Geschworenen sind zunächst von der Schuld des Täters überzeugt, und nur weil einer zweifelt und die anderen langsam von ihrer Voreingenommenheit abzubringen vermag, kann die Verurteilung des Angeklagten zum Tode verhindert werden. Es gibt auch Extrembeispiele, in denen Überzeugungen sogar nachweisbare körperliche Folgen nach sich ziehen. So wurden Fälle bekannt, in denen Patienten infolge einer Fehldiagnose an der hierdurch eingebildeten Krankheit gestorben sind, und in Experimenten bekamen die Probanden, denen man eine Münze auf den Unterarm legte und ihnen suggerierte, diese sei glühend heiß, tatsächlich Hautverbrennungen.
Alles Sonderfälle, die mit unserem normalen Alltag wenig zu tun haben? In der geschilderten
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