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Auszeit

Auszeit

Titel: Auszeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco von Münchhausen
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allerdings hoffte er, dass Gott mit seiner neuen Auslegung einverstanden sein werde.
    Es mag den Weisen, den Theologen und Philosophen, vor allem aber Ihnen persönlich überlassen bleiben, welche der möglichen Auslegungen des Jüngsten Gerichts wohl die richtige ist. Von praktischer Relevanz im Alltag kann dagegen die Frage sein, wie man selbst mit den Fehlern anderer umgeht, welche Art von »Richten« man bevorzugt: das Verurteilen oder das bewertungsfreie Richten des Geschehenen, indem man dem Betreffenden hilft, den Schaden wiedergutzumachen. Auch wir haben die Wahl, ob wir andere, die »Mist gebaut haben« wieder auf-richten oder ob wir sie verurteilen. Es gibt nur eine Berufsgruppe, |181| die kraft ihres Amtes das Recht zum Urteil oder zur Verurteilung anderer hat: die Richter. Wir hingegen sollten versuchen, so schwer das oft auch sein mag, mit anderen so umzugehen, wie der alte Mönch es sich von Gott erhofft. Schwer ist es allerdings nicht nur, weil wir nicht Gott sind, sondern weil wir in unserem mentalen Steuerungssystem eine Art Autopiloten haben, der sofort zur Verurteilung neigt, sobald etwas unserem Wertesystem widerspricht. Unsere Verurteilungssoftware ist diejenige, die nach der Konstruktion unseres inneren Betriebssystems automatisch geladen und angewandt wird. Doch können wir uns mit der Zeit umprogrammieren, indem wir es ab und zu und dann immer häufiger versuchen. Vielleicht erlangen wir dann mit der Zeit etwas von der Güte und Weisheit des alten Mönches …

    Fragen zum Nachdenken
Was ist meine persönliche Vorstellung von »Richten« und vom »Jüngsten Gericht«?
Wann neige ich dazu, andere sofort zu verurteilen?
Wann gelingt es mir bei Fehlern anderer, ihnen ohne Urteil zu helfen und das Geschehene zu richten?

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|183| Ehrlichkeit
    Frohe Botschaften zu übermitteln ist leicht und eine angenehme Angelegenheit. Bei Kindern kann man oft erleben, dass sie untereinander wetteifern, wer dem Papa oder der Mama eine gute Nachricht überbringen darf. Und auch der Aktionärsversammlung die unerwartet guten Quartalsergebnisse mitzuteilen, wird kein Vorstandsvorsitzender sich scheuen. Verständlich: Wird doch unbewusst die positive Nachricht mit der Person verbunden, die sie verkündet.
    Viel schwerer fällt es dagegen bei negativen Botschaften: Ihre Übermittlung ist eine Aufgabe, vor der die meisten sich scheuen. Zwar wird heute der Bote nicht mehr hingerichtet, wie das früher bei grausamen Herrschern noch üblich war, doch wissen Ärzte und Amtspersonen, wie belastend es auch für sie selbst sein kann, jemandem eine schlimme Diagnose oder gar einen Todesfall mitteilen zu müssen.
    Um die Schwierigkeit, Wahrheit zu übermitteln, geht es auch in der folgenden Parabel:
    Es war einmal ein König, der träumte, er werde bald alle Zähne verlieren. Voll Sorge befahl er einen Traumdeuter herbei.
    »Oh mein König«, sagte dieser, »ich muss dir eine sehr traurige Mitteilung machen. Alle deine Angehörigen werden sterben, einer nach dem anderen.«
    |184| Da wurde der König zornig und ließ den Mann in den Kerker werfen.
    Schließlich befahl er einen anderen Traumdeuter herbei. Der hörte sich den Traum an und sagte lächelnd:
    »Ich bin glücklich, großer König, dir eine freudige Mitteilung machen zu können. Du wirst älter werden als alle deine Angehörigen. Du wirst sie alle überleben!«
    Da war der König hocherfreut und belohnte ihn reichlich .
    Beide haben die Wahrheit gesagt. Doch der zweite Traumdeuter hat sie so ausgedrückt, dass sie positiv klingt. Hat er dem König damit etwas vorgemacht? Ist das so in Ordnung, mag man sich fragen, wenn man gerade in den Medien und der Politik erlebt, wie unangenehme Wahrheiten so formuliert werden, dass man die Tragweite gar nicht mehr richtig mitbekommt? Da ist beispielsweise von »negativem Wachstum« die Rede, ein Unternehmen wird »personalmäßig verschlankt«, und nach einer Katastrophe wird (verharmlosend) die Zahl der Todesopfer »nach oben korrigiert«. Ist das legitim? Eine schwer zu beantwortende Frage, eine der wohl schwierigsten in der Kommunikation zwischen Menschen: Sage ich die Wahrheit, und wie sage ich sie? Die Antwort könnte in vier Stufen gesucht werden. Die ersten beiden betreffen das ob und die beiden anderen das wie :
Erstens: Steht es mir überhaupt zu? Es gibt Dinge, die man zwar erfährt, die einen aber nichts angehen und bei deren Mitteilung man sich ungefragt in die Angelegenheiten anderer einmischen

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