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Autobiografie eines Lügners

Autobiografie eines Lügners

Titel: Autobiografie eines Lügners Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Chapman
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funktionierte prima. Bei Kolloquien wurden mir weniger Fragen gestellt; außerdem half sie, den Gestank des Formalins in den Sektionsräumen totzuschlagen. (Das ist eine der vielen Hürden beim Medizinstudium. Die erste besteht darin, in der Schule einen Wurm, einen Hundshai und ein Kaninchen zu sezieren. Dann das allererste menschliche Wesen. Ich kam drüber weg, und innerhalb von zwei Wochen verwendete ich aus Bequemlichkeit den Mund meines Kadavers als Aschenbecher.)
    Der für die Anatomie zuständige Pedell, den wir einmal Wally nennen wollen, vermittelte uns allen mit seiner lässigen Herangehensweise Selbstvertrauen. Wenn man ihm eine pint spendierte, sah er einen ganzen Kasten voller Gliedmaßen, Köpfe und Rümpfe durch und suchte einem was Schönes heraus. »Bein, stimmt’s? Ach je, ach je!« stöberte er. »Damit sieht es im Augenblick ganz schlecht aus, Sir. Ichkann Ihnen einen Arm geben, und für nächstes Trimester lege ich Ihnen ein schönes Bein zurück. Wo waren wir stehen geblieben? Arm, Arm, Arm, Arm, ah, ja, da haben wir ihn ja, ein bildschönes Stück. Ich wußte doch, daß er hier irgendwo steckt.« Und er zog einen Arm in einer armgroßen Plastiktüte heraus. Der Arm roch wie sonstwas nach Formalin, dem Konservierungsmittel, das Wally durch die Halsschlagader in die noch relativ frischen Kadaver pumpte, bevor sie an den Ohren in einem großen Kühlschrank aufgehängt wurden. Ich fragte ihn nach den Fleisch- und Knochenstücken, die er einsammelte, nachdem die Kadaver seziert worden waren. Wie wurden sie beerdigt? Und konnte er unterscheiden, was von welcher Leiche stammte? Seine Antwort lautete: »Tot sind sie doch sowieso, oder? Die Verwandten merken nichts.« Ich beschloß sofort, meinen Körper nicht der Medizin zu spenden, wurde aber vom Ärzterat gebeten, das für mich zu behalten.
    Allmählich entwickelten wir alle die gleiche Kaltblütigkeit wie Wally und gewöhnten uns an den Anblick von Milzen, Gallenblasen, des Kopfinneren und des Genickhinteren. Wir gewöhnten uns so sehr an unsere Arbeit, daß zwei Kommilitonen relegiert wurden, der eine, weil er Därme als Springseil verwendet, der andere, weil er ein weibliches Erstsemester erschreckt hatte, die nach Hause kam und einen abgetrennten Penis in ihrer Handtasche fand.
    »Eine Handtasche?« ruft Lady Windermere aus. »Das habe ich nie gesagt! Lady Bracknell hat das gesagt.«
    »Reden Sie keinen Schei-ei-eiß«, singsangt Lady Bracknell. »Das warst immer noch du, Oscar, mein Süßer. Die witzigen Erwiderungen stammen immer von dir, erinn’re dich ….«
    Aber ich kann mich nicht erinnern, und wie das Schicksal es will, schwimmen weitere Szenen aus meiner Vergangenheit an meinen Augen vorüber ….
    Mein erstes Anatomie-Kolloquium mit dem Professor hätte leicht übel ausgehen können, wenn ich mich nicht hinter einer Pfeife versteckt hätte. Wir waren zu siebt, alle achtzehn bis neunzehn Jahre alt. Als erstes ließ er das Mitglied unserer Gruppe, das am unschuldigsten aussah, die weibliche Brust beschreiben. Der arme Bursche konnte nur vage kreisende Bewegungen mit der Hand andeuten und sagen: »Nun, sie ist irgendwie halbkugelförmig … hemisphärisch sozusagen … äh, äh … sozusagen äh, äh …«, und die anderen machten sich über ihn lustig. Ich lachte ebenfalls, weil ich mich hinter meiner Pfeife sicher fühlte. Bald wurde mir klar, daß der Anatomieprofessor sexbesessen war, und daß er neunundzwanzig Porträts seiner Familie auf dem Schreibtisch stehen hatte, war ein weiterer Beweis.
    Bei Professor Fermans nächstem Kolloquium wurde Hibben über die Vagina befragt. Alle kicherten wie die Schulmädchen (außer mir –, ich rauchte immer noch meine Pfeife).
    »Beschreiben Sie die Vagina, Hibben.«
    »Äh, ja gut, äh, sie ist ein sensibles Organ«, sagte Hibben.
    »Was meinen Sie damit?« sagte der Professor.
    »Nun, sie ist etwa elfeinhalb Zentimeter lang und äh … äh … sehr sensibel.«
    »Quatsch«, sagte der Professor. »Das einzig Sensible an der Vagina ist vorne, mein Junge, außer einer bestimmten Sinnesreizung, wenn etwas die Perinealmuskulatur passiert hat. Die Vagina selbst ist praktisch gefühllos. Ihre Antwort zeigt nicht nur einen Mangel an anatomischem Wissen, sondern auch eine vollständige soziale Ignoranz.« Hibben war zu verlegen, auch nur zinnoberrot anzulaufen. »Sie haben offensichtlich noch nie mit einer Frau geschlafen«, sagte der Professor. Wieder kicherten alle, aber Hibben zog ein

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