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Autobiografie eines Lügners

Autobiografie eines Lügners

Titel: Autobiografie eines Lügners Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Chapman
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reißen, den er selbst hineingesteckt hatte: Zwei Spuren von der Schlinge waren zu sehen, eine am Hals, eine in Kinnhöhe quer über das Gesicht –, und Kratzspuren, die andeuteten, wie er gekämpft hatte, das Ding nach oben wegzuzerren.
    Der Leichenbeschauer rief mich an, weil ich längere Zeit sein Arbeitgeber gewesen war. Er brauchte keine weitere Identitätsbestätigung, und ich war froh, daß ich mir die Leiche nicht ansehen mußte. Jetzt mußte ich Brendan den Tod seines Freundes mitteilen. Er nahm die Nachricht mit trügerischer Ruhe, bestand aber darauf, sich die Leiche anzusehen. Ich sagte ihm, er solle nicht hingehen, es habe keinen Sinn: »Er ist tot, oder? Das war’s. Was du zu sehen kriegst, das wird nicht Jimmy sein. Nur ein schrecklicher Anblick.« Ich wußte es, ich hatte Erhängte gesehen –, sie sind aufgedunsen, blaues Gesicht usw. Er ging trotzdem, fand den Anblick tatsächlich widerwärtig, fühlte sich, nehme ich an, wegen ihres vorangegangenen Streits und der langen Trennung irgendwie schuldig. Das meiste dieser Schuld projizierte er auf mich.
    Danach pflegte er mich etwa sechs Monate lang früh morgens betrunken anzurufen und für den Tod seines Freundes verantwortlich zu machen. Während dieser Anrufe wurde allmählich offenkundig, daß er sich selbst bestrafte. Sich jeden Abend zu besaufen, brachte keinerlei Erleichterung. Eines Nachts rief er an und sagte einfach: »Ich bin an einem schrecklichen Ort, hol mich hier bitte raus, Graham.« Ich fuhr mit einem Minitaxi zur angegebenen Adresse. Aus einer Kellerwohnung drangen Partygeräusche. Ich ging hinein, und in einem winzigen schmuddeligen Wohnzimmer saßen lauter Männer mittleren Alters, die einen Heranwachsenden betrachteten, der in Unterhose herumtanzte. Ich sah Brendan, er war sehr betrunken, ging rasch zu ihm, hob ihn hoch, legte ihn mir über die Schulter und trug ihn hinaus. Am nächsten Tag hatten wir endlich eine Chance, nüchtern miteinander zu reden.
    Brendan hatte eine Schwester in Irland, der er oft geschrieben hatte, und wir fanden beide, daß es ihm gut tun würde, eine zeitlang nicht in London zu sein. Er ging zurück nach Irland, und aus seinen Telefonanrufen ging hervor, daß es ihm gelungen war, die negativen Aspekte 66 seiner Gefühle nach Jimmys Tod in den Griff zu kriegen. Er hatte dort einen Freund gefunden, der sagte, in Dänemark gäbe es gute Aussichten auf Jobs, und dort wolle er hin.
    Seitdem hat er oft aus Dänemark geschrieben; er hat einen regulären Job, eine Wohnung, Freunde und spricht sogar die Sprache.
    Ich habe versucht, dies kurz und bündig niederzuschreiben, ohne daß zuviel Emotion meinen Bericht umwölkt, weshalb ich hier schließen möchte, indem ich einfach in einen Schrei ausbreche: »Waaaaaaaaaaaaaaaaaaa   aaaaaaaaaaaaaaaaaaaa   aaaaaaaaaaaaaaaarrrr   rrrrrrrrrrrrrrrrrrrr   rrrrrrrrrrrrrrrrrrrr   rrghghghghghghghghgh   ghghghghghghghghghghghghgh!!!!!!!!!!!!!!«

KAPITEL ZEHN
John aus der Antarktis
    Gin und Tonic sei’n gepriesen. Heroin. Rettung aus Bergnot. Der Duft der Ewigkeit verfliegt. Vaterfreuden leichtgemacht
    Eines Januarabends im Jahre 1972 lag ich träge über das behaglich tiefrote
    Chesterfieldsofa hingelagert. Ich lauschte dem winzigleisen Wispern der Bläschen aus Kohlendioxyd, die an meinem Ohr vorbeisprudelten, um oben in einem Glas mit einem vierstöckigen Gintonicmiteisaberohnezitronedrin zu platzen. Der schiere Mangel an Kargheit im größten Zimmer meiner Penthouse-Wohnung in Belsize Park trug zusätzlich zu meiner Entspannung bei. Ganze Böschungen von Richtstrahlern fokussierten schroffe geometrische Scheiben in Magentarot, Smaragdgrün und Beige an die Wände hin, während einem Räucherfaß die Düfte von Frangipani, Bergamotte und Chypre entquollen, was sich aufs Glücklichste zu einem mirantischen Furlor des Didantillismus verquickte. Das etwa dreizehn Meter entfernte Gelaber meines Bruders war kaum zu verstehen, welcher in seiner Eigenschaft als Chirurg einen meiner Freunde untersuchte. Dieser Freund hatte eine Nabelhernie, um die sich, fand ich, gekümmert werden mußte. Das fand mein Bruder auch, nachdem er die Untersuchung abgeschlossen hatte, und wir bereiteten die Überweisung ins Krankenhaus vor.
    Dieser nämliche Freund, der eines chirurgischen Eingriffs bedurfte, war außerdem heroinsüchtig, was die Überweisung insofern leicht komplizierte, als wir sicherstellen mußten, daß das Krankenhaus seinen erhöhten Bedarf an Opiaten voll und ganz

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