Autor
aufbrechen.«
»Das wäre eine Möglichkeit«, sagte Erika. »Vielleicht wurde er sogar abgeholt. Wie mein Vater.«
»Sie meinen, er wurde entführt?« fragte die Frau erstaunt.
»Es ist zumindest nicht auszuschließen«, seufzte Erika. »Wir wissen selbst noch zu wenig über die Hintergründe dieser Vorfälle.«
Durch das offene Fenster hörte Saul einen Wagen näherkommen. Plötzlich verstummte das Motorengeräusch.
Sauls Schultern spannten sich. Er schlich aus der Küche und spähte durch das Fenster des Wohnraums zur Straße hinunter. In der Zufahrt zum Hof stand ein schwarzer Renault. In seinem Innern konnte Saul die Silhouetten von drei Männern erkennen.
Erika folgte ihm ins Wohnzimmer. »Was ist denn?«
Als ihnen auch die Frau nachkam, fragte Saul sie: »Kennen Sie diesen Wagen?«
Die Frau trat auf das Fenster zu.
»Vorsicht!« warnte Saul sie. »Sie dürfen Sie nicht sehen.«
Gehorsam drückte die Frau sich neben dem Fenster an die Wand und spähte nach draußen. »Nein, nie gesehen.«
Die drei Männer stiegen aus. Sie waren groß und kräftig gebaut. Saul schätzte ihr Alter auf Mitte dreißig. Alle trugen kräftiges Schuh werk, dunkle Hosen und Anoraks. Letztere waren ihnen etwas zu groß.
Weshalb liefen diese Kerle an einem warmen Junitag wie diesem mit dicken Anoraks herum, fragte sich Saul.
Als die Männer den Weg zum Haus hochgingen, zogen sie die Reißverschlüsse ihrer Anoraks nach unten.
Saul spürte Erika ganz dicht hinter sich.
»Sie hätten bis zum Haus hochfahren können«, flüsterte sie Saul ins Ohr.
»Statt dessen haben sie mit ihrem Wagen die Zufahrt zur Straße versperrt. Solange sie nicht wieder wegfahren, können auch wir mit unserem Wagen nicht mehr weg.«
Die Männer schritten nebeneinander auf das Haus zu. Ihre Mienen waren ausdruckslos, aber ihre Augen waren unablässig in Bewegung und tasteten aufmerksam ihre Umgebung ab. Jeder hatte seine linke Hand in Gürtelhöhe gehoben. Als sie etwa die Hälfte des Wegs zum Haus hinauf zurückgelegt hatten, konnte Saul die leuchtend roten Ringe erkennen, die sie an den Mittelfingern ihrer linken Hand trugen.
Er wirbelte zu der Frau herum. »Haben Sie ein Gewehr im Haus?«
Erschrocken wich die Frau vor ihm zurück. Doch dann erwiderte sie mit fester Stimme. »Aber sicher. Wir sind hier schließlich in der Schweiz.«
Saul wußte, daß in der Schweiz alle wehrpflichtigen Männer ihr Marschgepäck und ein Gewehr im Haus hatten.
»Schnell, holen Sie es«, forderte er die Frau auf. »Und sehen Sie zu, daß es geladen ist. Wir müssen sofort hier weg.«
»Aber weshalb...?«
»Los!«
Die Frau stürzte an den Schrank und holte ein Sturmgewehr daraus hervor. Dann nahm sie zwei Ersatzmagazine aus einem Fach und gab sie Erika, die sich kurz vergewisserte, daß sie gefüllt waren. Sie faßten jeweils zwanzig Patronen. Erika schob ein Magazin in das Gewehr, entsicherte es und stellte es auf Halbautomatik. Dann ließ sie eine Patrone in den Lauf gleiten. Das andere Magazin steckte sie sich in den Gürtel.
Die Frau sah sie verständnislos an. »Aber diese Männer werden Ihnen doch... «
»Wir haben jetzt keine Zeit für lange Erklärungen! Los, raus hier!« Saul stürzte an den Küchentisch und nahm das Tagebuch und die Fotos. Erika öffnete die hintere Küchentür. Saul packte die Frau am Arm und rannte mit ihr Erika hinterher.
Sie überquerten den Hinterhof und hasteten am Stall vorbei zu Avidans Hütte hoch.
Als Saul hinter sich einen Schrei hörte, preßte er den Karton mit dem Tagebuch und den Fotos fester an seine Brust und drehte sich im Laufen herum. Zwei der Männer tauchten auf der rechten Seite des Stalls auf, während der dritte um die linke Ecke kam und nach oben deutete. »Ici!« Alle drei zogen Pistolen unter ihren Anoraks hervor.
»Erika!« brüllte Saul.
Sie drehte den Kopf, sah die drei Männer auf sie zielen und wirbelte herum. Gleichzeitig ließ sie sich auf ein Knie nieder, stützte ihren Ellbogen auf dem anderen Knie auf und legte an.
Bevor einer der drei Männer einen Schuß abfeuern konnte, hatte sie zweimal abgedrückt. Und dann noch einmal. Die Entfernung betrug etwa fünfzig Meter, und Erika war eine ausgezeichnete Schützin. Da sie jedoch vom Laufen völlig außer Atem gewesen war, konnte sie das Gewehr nicht ganz ruhig halten. Sie traf einen Mann an der Schulter. Die anderen beiden Schüsse schlugen in die Stallwand.
Der Verletzte umklammerte seinen Arm und ging hinter dem Stall in Deckung. Seine
Weitere Kostenlose Bücher