Autor
besessen.«
»Falls er tatsächlich an einem Roman gearbeitet hat«, bemerkte Erika, »muß er das Manuskript wohl mitgenommen haben. Ich sehe auch nirgendwo eine Schreibmaschine.«
Von einem Strahlenkranz aus Sonnenlicht umgeben, stand die Frau in der offenen Tür. »Ich habe Avidan in der Zeit zwischen Oktober und November kaum gesprochen. Manchmal konnte ich wegen des dichten Schneetreibens nicht einmal die Hütte sehen. Ich bekam ein paarmal richtig Angst, sie könnte eingeschneit werden. Aber solange ich an klaren Tagen Rauch aus dem Schornstein aufsteigen sah, machte ich mir keine Sorgen. Außerdem kam er an jedem Monatsersten herunter, um die Miete zu zahlen.«
Saul fiel wieder ein, daß die Frau gesagt hatte, sie wäre von ihrem Mann verlassen worden. Avidans monatliche Mietzahlungen waren ihr deswegen wohl wichtiger gewesen als die Eigenschaften ihres Mieters.
»Irgend etwas hat mit diesem Avidan nicht gestimmt«, erklärte sie. »Das stand für mich außer Zweifel. Ich habe auch nichts angerührt, als er verschwand. Ich dachte mir nämlich schon, daß sich bestimmt die Polizei einschalten würde.«
»Soviel Sie wissen, haben der Geistliche und die beiden Israelis jedoch nichts gefunden, was sie in irgendeiner Weise weitergebracht hätte«, sagte Saul. »Natürlich können wir jetzt noch einmal alles durchsuchen. Aber aller Wahrscheinlichkeit nach würden wir damit nur kostbare Zeit vergeuden. Avidan war gewiß kein Amateur.«
»Der Geistliche und die beiden Israelis dachten, sie könnten mich austricksen«, erklärte die Frau wütend. »Sie haben mir kein Geld gegeben.«
Sauls Haut begann zu prickeln. »Und wenn wir Ihnen Geld geben würden...?«
»Es ist wirklich nicht einfach, den Hof allein zu bewirtschaften.«
»Wir sind natürlich gern bereit, Ihnen zu helfen«, erklärte Erika. »Unsere Mittel sind allerdings begrenzt. Wir wurden erst vor kurzem aus unserer Heimat in Israel vertrieben. Aber wir würden Ihnen gern etwas unter die Arme greifen, soweit uns das möglich ist.«
Nachdenklich wiegte die Frau den Kopf, um schließlich einen ziemlich hohen Betrag zu nennen; er betrug fast die Hälfte des Geldes, das Saul und Erika von Misha bekommen hatten. Doch wenn das, was ihnen diese Frau zu sagen hatte, so wichtig war, wie ihre ernste Miene andeutete, wäre das völlig bedeutungslos gewesen.
»Einverstanden«, nickte Saul. »Vorausgesetzt, Sie zeigen uns nicht nur ein altes Adreßbuch oder...«
»Es ist ein Tagebuch«, fiel ihm die Frau ins Wort. »Die Eintragungen erstrecken sich über den Zeitraum vom Oktober letzten Jahres bis zum Zeitpunkt seines Verschwindens. Er schreibt darin über die Hütte und über sich. Außerdem sind da noch die Fotos. Schreckliche Fotos.«
Sauls Brustkorb schnürte sich zusammen.
Erika trat einen Schritt vor. »Wo haben Sie das Tagebuch und die Fotos gefunden?«
»Er hatte sie versteckt.«
»Ja, aber wo?«
»Nachdem ich den Geistlichen dabei ertappt habe, wie er die Hütte durchsuchte, fragte ich mich natürlich auch selbst, wonach er wohl gesucht haben könnte. Deshalb habe ich die Hütte ebenfalls durchsucht, sobald er weg war. Ich habe überall nachgesehen. Sogar den Ofen habe ich zur Seite gerückt.«
»Und?«
»Ich habe nichts gefunden. Aber der Geistliche war nicht wirklich gründlich«, fuhr die Frau fort. »Er hat sich nicht richtig in Avidan hineinversetzt. Es gibt nämlich noch ein anderes mögliches Versteck - außerhalb der Hütte.«
»Das Aborthäuschen«, platzte Saul heraus.
»Ja. Er hatte das Tagebuch und die Fotos unter dem Sitzbrett befestigt.«
»Und dieses Tagebuch soll wirklich soviel wert sein?«
»Das müssen Sie wissen.«
Erika nahm einen Packen Geldscheine aus ihrer Tasche. »Das ist österreichisches Geld.«
»Meinetwegen könnte es auch japanisches sein. In der Schweiz ist jede Landeswährung willkommen.« Die Frau zählte die Scheine.
»Und bekommen wir jetzt, wofür wir bezahlt haben?«
»Folgen Sie mir ins Haus.«
4
Sie saßen am Küchentisch. Während ihnen die Frau Kaffee kochte, öffnete Saul das in Plastik gewickelte Päckchen, das sie ihnen gegeben hatte. Die Fotos ließen ihn zusammenzucken.
Konzentrationslager. Mit Maschinenpistolen bewaffnete SS-Männer, welche die Verladung von Juden in Viehwaggons überwachten. Halb verhungerte Häftlinge, die mit angstgeweiteten Augen durch Stacheldrahtzäune starrten. Endlose Gruben, gefüllt mit kalkbestreuten Leichen. Gaskammern, nackte Menschen - vorwiegend Kinder
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