Avalon 04 - Die Hüterin von Avalon
Schwerter werden römisches Blut trinken, so wie wir jetzt römischen Wein trinken …
Sie hatte geglaubt, der Krieg sei für sie abgeschlossen. Sie hatte gedacht, die Gabe der Weissagung verlernt zu haben. Doch jetzt regte sich in ihr das Bewusstsein beider Kräfte.
Ich bin hier viel zu lange geblieben …
Im ersten Morgengrauen kamen die Fremden schleppend den Pfad herauf. Bis sie am Tor angelangt waren, hatte Bogle mit seinem plötzlichen Gebell das ganze Gehöft aufgeweckt. Boudicca zog sich einen Schal über ihr Untergewand, wankte verschlafen an die Tür und packte den Hund am Halsband. Sie hieß ihn, still zu sein, und sein lautes Gebell ging langsam in ein leises Knurren über.
Drei Männer kamen an. Ihre jungen Körper und Gesichter schienen vorzeitig gealtert. Der eine hielt einen Arm in einer Schlinge, der andere hatte ein verdrecktes Tuch um den Kopf, und zusammen stützten sie den dritten, dessen Bein vom Knöchel bis zur Hüfte in blutigen Verbänden steckte.
»Lhiannon«, rief sie mit einem Schulterblick. »Komm schnell. Es sind Verwundete.«
»Meine Dame«, sagte der mit dem verletzten Arm. »Bei deiner Gnade. Hast du etwas zu essen für uns und einen stillen Platz, wo wir uns hinlegen können? Wir werden dir keine weiteren Umstände bereiten – bei Sonnenuntergang sind wir wieder weg.«
»Das seid ihr bestimmt nicht!«, rief Boudicca. »Ihr seid so wenig reisetauglich wie ein kleines, hilfloses Kind, wie mein Mädchen hier. Kommt ins Haus – niemand hier wird euch verraten, aber man kann natürlich nie wissen, wer draußen so alles herumstreunt. Ihr seid jedenfalls nicht die Ersten, die hier Zuflucht suchen.« Seit der Befehl zur Entwaffnung ergangen war, hatten etliche beschlossen, lieber ihr Zuhause zu verlassen, als klein beizugeben.
Doch diese Männer waren nicht bloß auf der Flucht vor einem römischen Vormarsch, dachte sie mit einem Gefühl der Beklommenheit, während sie ihnen ins Haus half. Diese Männer hatten eine Schlacht erlebt, und das vor nicht allzu langer Zeit.
Der Mann mit dem gebrochenen Arm hieß Mandos. Er stammte aus einem kleinen Gehöft unweit der Festung, in der Boudicca geboren worden war. Der Mann mit der Kopfverletzung war vom Stamme der Trinovanten und der mit dem verwundeten Bein von irgendwo in der Nähe der Küste. Sie hätten sich erst in der Schlacht kennengelernt, erzählte Mandos, als sie sich im gleichen Dickicht verschanzt hielten. Seither waren sie zusammen.
Bis die drei gegessen und sich gewaschen hatten, war Prasutagos eingetroffen. Lhiannon verarztete den Mann mit dem verwundeten Bein, der fieberte, doch die anderen schienen so weit auf dem Damm, um ihre Geschichte erzählen zu können.
»Ich bin froh, dass du da bist, mein Herr«, sagte Mandos. »Die Götter wissen, was für Geschichten so im Umlauf sind. Ich weiß, du hast nicht geglaubt, dass wir einen Sieg erringen können, und vielleicht hattest du recht …« Nun, da er von Kopf bis Fuß gründlich gewaschen war, sah er kaum aus wie achtzehn, zwei Jahre älter als Boudiccas Bruder, von dem sie hoffte und betete, dass ihr Vater ihn aus dem Aufruhr herausgehalten hatte.
»Ja, vielleicht«, sagte Prasutagos ruhig. »Aber vielleicht hattet ihr auch recht, indem ihr es versucht habt. Was ist geschehen?«
»Es hätte eigentlich gelingen müssen!«, warf sein Gefährte ein. »Unser Kriegsführer war ein Mann aus dem Sumpfland, der sich auskannte in der Gegend und wusste, wie wir zu einem alten Bollwerk auf einer kleinen, etwas erhöht liegenden Insel kommen. Damit, so hatte er sich ausgerechnet, hätten wir die Römer auf Boden gelockt, der für ihre Kavallerie nicht geeignet ist, und sie so bei ihrem Angriff zermürben und ihrer Kräfte berauben können.«
Mandos nickte zustimmend. »Aber auch der römische Befehlshaber war ganz schön ausgefuchst. Er ließ seine Reiter absitzen, und sie jagten uns zu Fuß nach. Die Bollwerke wurden zur Falle, sobald die Römer sie erst erstürmt hatten. Wir trampelten alle übereinander, versuchten nur noch rauszukommen. Auch einige Einheimische hatten zusammen mit uns dort Zuflucht genommen. Alte … Kinder … Sie haben sie alle abgeschlachtet. Das war vor vier Tagen.« Er nahm einen weiteren Schluck von der Nesselbrühe. »Wir konnten nur nachts weiter. Tagsüber jagten römische Patrouillen alle, die entkommen konnten.«
»Hier seid ihr sicher«, sagte der König. »Wir werden Gehöfte finden, auf denen ihr erst einmal bleiben könnt.«
Mandos
Weitere Kostenlose Bücher