Avalon 04 - Die Hüterin von Avalon
zulassen, wenn sie sich meiner Treue sicher sein können. Ich will das nicht, aber es ist möglicherweise der einzige Weg, das Stück Unabhängigkeit, das wir noch haben, zu bewahren.«
Bis der Befehl zur Entwaffnung gekommen war, hatte Boudicca sich in der Abgeschiedenheit des Gehöfts einbilden können, dass ein Leben möglich war, ohne von den Römern behelligt zu werden. Prasutagos aber hatte diesen Vorteil nicht gehabt.
»Wenn ich gehe, Boudicca, wirst du dann mit mir kommen?«
Sie konnte ihm nicht in die Augen sehen. Sie streckte die Hand nach ihm aus, um sich zu vergewissern, dass die Worte nicht von einem Schatten, sondern von einem lebendigen Mann kamen, und spürte, wie die harten Muskeln seines Unterarms unter ihrer Hand zitterten.
»Das werde ich, mein Gemahl. Ich verspreche es dir.«
Lhiannon schnürte ihren Streuballen auf und legte ihn neben den von Boudicca. Das Rundhaus, das man der Königin und ihren Frauen zugewiesen hatte, bot kaum Platz für alle und war auch nicht sonderlich sauber. Doch sie und Temella hatten es geschafft, es einigermaßen wohnlich zu gestalten. Wer immer der neue Hochkönig wurde, sie mussten mindestens so lange hierbleiben, bis das Beltane-Fest vorüber war.
Sie sah auf, als ein Schatten durch den offen stehenden Eingang fiel.
»Du bist es tatsächlich!«, sagte eine Stimme, die ihr vertraut vorkam. »Ich habe gehört, dass du hier gesehen worden sein sollst – ich kann kaum glauben, dass es wahr ist!«
Lhiannon brauchte eine Weile, bis sie Belina erkannte, die noch immer die gleiche ungezwungene Art hatte, obgleich sie ein wenig ergraut war.
»Wir haben dich die ganzen drei Jahre, seit Rianor verkündete, dass du aus Avalon verschwunden seist, als vermisst betrachtet«, sagte die Priesterin. »Und am Samaine-Fest dann eine Grabstatt für dich errichtet. Wir dachten, du wärest tot oder ins Feenland gegangen – ja, schau nicht so überrascht –, du bist nicht die Erste, die die Königin aus jenem Land getroffen hat.«
»Ich habe der Königin aus diesem Land gedient«, sagte Lhiannon, als sie ihre Sprache wiedergefunden hatte.
Belina lachte. »Tritt mal aus der schattigen Hütte und lass dich ansehen, meine Liebe! Immer noch dünn wie ein Geist – bekommst du nichts zu essen dort im Sumpfland? Aber du siehst gesund aus, die Göttin segne dich!«
Lhiannon blinzelte gegen das Licht, als sie heraustrat. In Dun Garo ging es emsig zu wie in einem Bienenstock, während die Stämme einer nach dem anderen eintrafen. Männer zogen Holzscheite herbei für das große Beltane-Feuer auf der Wiese. Kreuz und quer über die Weiden verstreut, sprossen Zelte in allen Farben aus dem Boden. Auf der anderen Seite des Flusses umschloss eine Palisade die geordneten Reihen der Lederzelte, die den römischen Feldherrn und seine Männer beherbergten – eine stumme, aber ausrucksvolle Mahnung, dass die Stammesväter zwar ihren neuen Hochkönig wählen konnten, aber besser keinen, der nicht von Rom gebilligt war.
»Dieses Band um deine Stirn musst du nicht unbedingt tragen.« Belina zupfte an dem Tuch, mit dem Lhiannon die Sichel von Avalon verdeckt hielt. »Selbst wenn sie wüssten, was es bedeutet, würden sich diese römischen Schweine nicht darum scheren, was eine Frau tut.« Hatte Belina schon immer so geredet, oder musste sie so reden, um ihre Gefühle bei dieser unerwarteten Wiederbegegnung zu verdecken? »Eigentlich hätten wir uns denken können, dass du zu Boudicca gehen würdest. Sie war in der Schule schon dein Hätschelkind.«
»Was tust du hier? Wer ist denn sonst noch da? Helve?«, fragte Lhiannon schließlich.
»Oh, nein! Oder glaubst du im Ernst, dass unsere geliebte Hohepriesterin sich mitten unter den Feind trauen würde, obgleich sie sich nicht scheut, den Rest von uns – das heißt die anderen Oberpriesterinnen – auszuschicken, um den Aufstand hier anzufachen?«
Lhiannon lachte. Das klang, als hätte sich ein bisschen was verändert. »Und deshalb bist du hier? Nun, bei den Icenern wirst du damit wenig Glück haben – den Zahn hat man ihnen bereits gründlich gezogen, und Prasutagos ist kein Mann, der das, was er noch hat, aufs Spiel setzt«, fügte sie etwas verbittert hinzu, denn Prasutagos hatte Lhiannons Einwände von vornherein überhört. Und nun wechselten sie kein Wort mehr miteinander.
»Hängt er denn so sehr an der Macht?«, fragte Belina.
»Nicht an der Macht«, antwortete Lhiannon ehrlich. »Am Frieden. Boudicca wäre ein besserer
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