Avalon 04 - Die Hüterin von Avalon
Verschwinde, du Römer! Und sei verflucht! Ich warne dich zum letzten Mal!«
Sie hörte das Geräusch seiner Schritte, die sich entfernten, als der Ruf des Carynx erneut ertönte, und trat zurück ins Haus. Ihr Atem ging schnell.
»Was wollte er?«, fragte Lhiannon.
»Nichts Wichtiges«, nuschelte Boudicca, froh, dass das gedämpfte Licht die Röte vertuschte, die ihr in die Wangen stieg. Lhiannon war die Letzte, der sie vom schmählichen Annäherungsversuch des Römers erzählen wollte.
Draußen dröhnten Trommeln, geboten Aufmerksamkeit. Die tiefen Stimmen der Druiden schwollen an und wieder ab, wurden leiser und leiser und verstummten schließlich ganz, als der König auf seinen Ehrenplatz am Feuer geleitet wurde. Für Boudicca war es heute Abend mehr als nur eine Feier. Wenn Belina heute Abend die Priesterin wäre, würde sie mit dem König nur so lange verbunden sein, wie die Göttin anwesend war. Doch übernahm Boudicca diese Rolle, dann musste sie sowohl Prasutagos als auch Epona ihr Herz und ihre Seele öffnen. Boudicca fühlte ein erwartungsvolles Kribbeln unter der Haut. Lhiannon brachte einen weißen Umhang, legte ihn Boudicca über die Schultern, damit sie in der kühlen Luft nicht fror. Da wurde das Tuch am Eingang gehoben, und ihre Mutter erschien.
»Oh, meine Tochter, wie schön du bist – noch schöner als am Tag deiner Hochzeit«, sagte Anaveistl mit einem zittrigen Lächeln. »Ich wollte dich nur schnell sehen und gehe gleich zurück ins Haus und zu unserem süßen kleinen Mädchen …«
Boudicca tätschelte ihre Hand. Anaveistl war vom ersten Augenblick an in ihre Enkelin vernarrt. Eine treuer sorgende Kinderfrau hätte Rigana sich nicht wünschen können.
»Was passiert dort draußen gerade?«, fragte sie, als ihre Mutter wieder gegangen war.
»Der König hat seinen Ehrenplatz eingenommen«, antwortete Belina. »Ich denke, es ist dunkel genug, um den Vorhang einen Spalt aufzuziehen. Wenn du dich hierhin setzt, dann kannst du alles gut sehen …«
Einer der Druiden kniete am Boden, stellte das Feuer ab, das er vom Rand des ringförmigen Erdwalls bis zum aufgestapelten Holzhaufen in der Mitte getragen hatte. Ein lautes Raunen ging durch die Menge, als die Flammen hell aufloderten. Die Trommler entfesselten einen wahren Donnerwirbel, während eine Reihe junger Männer um das Feuer tanzten, bewaffnet mit Stäben.
Es hätten heute sehr viel mehr sein können, dachte Boudicca traurig. Denn die da um das Feuer tanzten, waren allesamt jüngere Brüder der Männer, die in der Schlacht im Sumpfland gefallen waren. Doch auch sie zeigten sich tapfer, wirbelten mutig herum mit ihren Stäben. Hatte Prasutagos die gleichen Gedanken? Er sah müde aus, doch seine Züge waren wie üblich ruhig und beherrscht. So wie es sein muss als künftiger Herrscher, dachte sie. An seinen Armen funkelten goldene Reife und um seinen Hals ein goldener Ring. Gekleidet war er in einen antikischen Rock und Umhang. Ihr war nie aufgefallen, welch muskulöse Beine und welch wohlgeformte Arme er hatte.
Wann denn auch?, dachte sie und errötete nicht nur vor beschämter Verlegenheit. Ein leichtes Flimmern der Erregung wogte warm durch ihren Körper, als ihr bewusst wurde, dass sie ihn nach Lust und Laune betrachten konnte, er sie aber nicht sah.
Nun eilten einige der Mädchen aus dem Zelthaus der Frauen, um sich einzureihen in den Reigen der jungen Frauen, die geschmeidig das Feuer umkreisten. Ihre Häupter waren gekrönt mit Weißdornkränzen, und so wie der Tanz um das Feuer sie immer mehr aufheizte, lösten sie nacheinander die Nadeln, die ihre Gewänder an den Schultern zusammenhielten, entblößten die weißen Brüste, bis die Gewänder nur noch gehalten waren von gewebten Gürteln.
Jemand reichte Boudicca einen Becher Wein; sie trank, fühlte eine wohlige Wärme durch ihre Glieder strömen und in ihrem Kopf ein gleichmäßiges Pulsieren, das dem rhythmischen Schlagen der Trommeln folgte.
Dann bildeten die jungen Männer einen Kreis um den Reigen der Frauen, tanzten nach vorn, bis sie einander beinahe berührten, und wirbelten aufs Neue zurück. Die Augen wurden größer, die Gesichter röter, nicht nur von der Hitze des Feuers. Prasutagos lächelte. Bildete sie sich ein, dass der Puls in seiner Kehle schneller schlug? Oder war es nur das Pochen, das sie in ihrer eigenen Kehle spürte?
Diese Feier fand nicht nur statt, um den König zu ehren, sondern auch um den Sommer zu begrüßen und alles Menschenmögliche zu
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