Avalon 04 - Die Hüterin von Avalon
hinterher. »Da will ich hin!«
»Wo du jetzt hingehst, ist ins Bett«, sagte Prasutagos mit einem spaßhaften Stirnrunzeln. »Dort kannst du von einem Festschmaus mit Dagdevos träumen …«
Als sie beide Kinder umarmt, geküsst und den Kinderfrauen überlassen hatten, wandte er sich an Boudicca. »Gut, dass du ihnen nicht die Geschichte erzählt hast, wie Dagdevos mit der Morrigan jedes Samaine-Fest Liebe macht, um ihren Zorn zu besänftigen und das Gleichgewicht der Welt wiederherzustellen«, murmelte er mit einem Blick, bei dem sie vor Verlegenheit sogleich wieder rot wurde.
»Ich glaube, die Geschichte hat noch Zeit, bis die beiden älter sind«, sagte sie verschämt. »Außerdem habe ich selbst nie ganz begriffen, wie die Götter das bewerkstelligen wollen … im Fluss stehen und …«
»Du bevorzugst also das Bett? Nun, damit kann ich dir dienen …« Er nahm ihre Hand, und Boudicca lächelte, wusste sich von den Göttern reich beschenkt.
Zusammen mit den anderen Druiden hatte Lhiannon dem hiesigen Kriegsgott namens Lenos ein Opfer bereitet, den Boden mit dem Blut eines Bullen getränkt und den Kadaver an die Äste der alten Eiche gehängt. Hatte der Gott das Opfer angenommen? Jedenfalls hörte man kein Donnergrollen, nur die Raben, die krächzten wie immer, wenn ein Heer auf dem Vormarsch war. Und um dieses Omen zu deuten, brauchte man keinen Druiden – wo Menschen kämpften, speisten die Raben.
In jener Nacht jedoch hatte Lhiannon wieder geträumt. Abermals flog sie hoch über einem Schlachtfeld, und dieses Mal stürmten die Römer wie ein bewaffneter Insektenschwarm den Hügel bergan, angeführt vom Adler-Gott, dessen Schritte klangen wie Donner, und vor ihnen fielen die Britannier, einer nach dem anderen, und Blut spritzte gegen die Felsen wie Regen. Beim Aufwachen hatte sie geweint, denn sie wusste, dass es ein Unheil verkündender Traum gewesen war. Und sie wusste auch, dass sie den Lauf der Dinge durch nichts aufhalten konnte. Die Römer waren bereits im Anmarsch. Jegliches Gerücht über eine mögliche Niederlage würde das britannische Heer auseinanderbrechen lassen, ohne einen Angriffsschlag gegen den Feind geführt zu haben. Mit einem kleinen Trupp hätte sich Caratac in die Wildnis zurückziehen können, aber mit einer so großen Truppe blieb keine andere Wahl, als sich dem Kampf zu stellen. Selbst wenn sie König Caratac erzählte, was sie im Traum gesehen hatte, würde ihm das womöglich den letzten Funken hoffnungsvollen Kampfgeist rauben, durch den ihre Vision sich am Ende doch noch als falsch erweisen könnte. Ihr blieb nichts, als zuzusehen, zu beten und zu hoffen, dass die Götter der Britannier ihre Bitten erhörten.
Oder bitten wir sie möglicherweise um die falschen Dinge?, schoss es ihr plötzlich durch den Kopf.
Der Hügel, von dem aus sie die Schlacht verfolgte, bot ihr weder eine vorteilhafte Sicht auf das Geschehen noch den weiten Abstand wie in ihrem Traum. Nachdem sie den vorrückenden Feind an der Flusskreuzung mit Schleudersteinen und Pfeilen etwas gebremst hatten, zogen sich die Britannier in geordneten Reihen auf den Hügel zurück, wo sie auf den steileren Hängen hinter Bruchsteinmauern in Deckung gingen, um von dort aus dem römischen Vorstoß mit einem Speerhagel zu begegnen und selbst vor den Geschossen aus den Bailisten der Feinde geschützt zu sein.
Am späteren Morgen begannen Caratacs Frau und Tochter zu jubeln, als sie sahen, wie die römischen Hilfstruppen durch die heftigen Feuer der Verteidiger zurückgetrieben wurden. Doch die Legionen formierten sich erneut. Und wenig später rückten die Römer in Schildkrötenformation erneut vor, gegen die die britannischen Geschosse vergeblich abgefeuert wurden. Und trotz des verbissenen Kampfgeists der Verteidiger kamen die Römer immer weiter voran, Fuß für Fuß, Schritt für Schritt, bis sie schließlich die steinernen Barrikaden erreicht hatten, sie niederrissen und Schwert an Schwert und Schild an Schild kämpften, bis ein Blutbach den Hügel hinabrann.
»Morrigan, Göttin der Schlachten, steh ihnen bei!«, betete Lhiannon. Die britannische Verteidigungslinie brach ein, und Caratacs Frau brach in angstvolles Schmerzgeheul aus, das in Lhiannons Ohren genauso klang wie der Gesang der Raben, die über dem Hügel kreisten. Die Göttin ist mit ihnen. Doch diese Erkenntnis erschreckte sie und ließ sie schaudern. Bis in den Tod und darüber hinaus. Doch sie kann sie nicht oder sie will sie nicht
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