Avalon 04 - Die Hüterin von Avalon
Gottheit von viel größerer Anmut.
»Wer ist diese Göttin?«, fragte Boudicca. Ihr Latein war noch immer ein wenig holprig, und sie sprach mit einem gallischen Akzent, den sie von ihrem Lehrer übernommen hatte – ein gallischer Sklave, den die Römer freigekauft hatten –, aber sie konnte sich verständigen. Julia Postumia war sichtlich erleichtert gewesen, als sie gemerkt hatte, dass sie sich unterhalten konnten, ohne einen Übersetzer zu bemühen.
»Das ist Venus, die Göttin der Liebe. Gibt es in euren Stämmen auch eine Göttin der Liebe?«
»Eine Göttin nur für die Liebe? Nein.« Boudicca schüttelte den Kopf. »Unsere Göttinnen sind allesamt wollüstig.« Sie lächelte, erinnerte sich an einige der Geschichten, die sie über die Morrigan kannte. »Selbst unsere Göttin des Krieges.«
Postumia lachte. »Man sagt, Venus habe im Trojanischen Krieg gekämpft, aber nicht sehr gut. Seither ist das Schlafgemach ihr einziges Schlachtfeld.«
»Zweifelsohne ist das euren Männern so lieber«, antwortete Boudicca. »Es scheint ihnen nicht zu behagen, wenn Frauen an der Macht sind, oder auch Königinnen …« Es nagte noch immer an ihr, dass Prasutagos ohne sie zur Ratsversammlung der Stammesführer geladen worden war. Ihr einziger Trost war, dass auch Cartimandua davon ausgenommen war, die unterdessen in einer anderen Ecke des Gartens verweilte.
Wenigstens kann ich darauf vertrauen, dass Prasutagos mir später alles erzählt, und auch meinen Berater fragen, dachte sie. Seit Cartimandua Caratac verraten hatte, hatten sie und Venutios kaum mehr ein Wort gewechselt.
»Es war sehr freundlich von dir, uns zu unterhalten, während unsere Männer anderweitig beschäftigt sind«, sagte sie höflich. Während dein Gemahl die unsrigen daran erinnert, wer wirklich über Britannien herrscht, spann sie den Gedanken im Stillen fort.
»Oh, ich denke, besser hätten wir es gar nicht treffen können«, antwortete Postumia. »Wir können hier in Ruhe die frische Luft genießen, während sie in einem stickigen Raum schwitzen müssen. Aber wenn wir dem Beispiel des Kaisers folgen, dann wird das wohl bald alles anders. Als man Caratacus und seine Familie in einem Triumphzug durch Rom geführt hat, soll Agrippina neben ihrem Gemahl auf einem Thron gesessen haben.«
»Weißt du auch, was dort weiter geschehen sein soll?«, fragte Boudicca, bemüht, ihrer Frage einen sachlichen Tonfall zu geben.
»Euer Caratacus ist ein tapferer Mann. Wie man sich erzählt, ließen die anderen verzweifelt die Köpfe hängen, er aber trug seine Ketten wie königliche Juwelen. Er fragte, wozu die Römer überhaupt noch Britannien wollten, wo sie bereits eine so prachtvolle Stadt besitzen. Dann erzählte er Claudius, dass sein Widerstand am Ende unseren Ruhm nur noch vergrößere, da er nun als Gefangener triumphal vorgeführt werde. Er betonte wohl auch, dass er als toter Mann in Vergessenheit geraten werde, lebendig aber Zeugnis ablegen könne von der Edelmütigkeit des Kaisers. Wir Römer schätzen eine gute Rede, zumal Caratacus nicht ganz unrecht hatte. Also ließ Claudius ihn am Leben und schenkte ihm ein Haus in Rom.«
Caratac wird also niemals mehr nach Britannien zurückkehren …, dachte Boudicca. Ich glaube, ich würde lieber sterben, als in noch so angenehmer Gefangenschaft zu leben.
Postumia sah auf, als einer ihrer Sklaven am Tor erschien, dicht gefolgt von Temella.
»Domina …«, begann er zögerlich, doch Temella stieß ihn kurzerhand beiseite.
»Meine Herrin, die Mädchen sind weg!«
Doch da war Boudicca bereits aufgesprungen und – mit einer knappen Entschuldigung in Richtung ihrer Gastgeberin – auf und davon, ehe die einen Ton sagen konnte. Ich hätte doch Bogle mitnehmen sollen, dachte sie, während sie mit hastigen Schritten durch die Stadt lief.
Crispus, der freigekaufte gallische Sklave, kannte sich in römischen Städten bestens aus und erwies sich als außerordentlich nützlich.
»Ich fürchte, es war meine Schuld«, sagte er, als sie durch die Straßen hasteten. »Ich habe den Mädchen von den Läden erzählt, und sie konnten es kaum erwarten, einen zu sehen.«
Boudicca hatte ebenfalls vorgehabt, die Läden zu besuchen, und den Mädchen versprochen, sie mitzunehmen. Sie malte sich aus, wie ihre Kinder verängstigt und blutend umherirrten, und dann wieder, wie sie ihnen den Kopf waschen würde, sobald sie sie heil und munter gefunden hatte.
Da hörte sie laute Rufe. Das klang vielversprechend. Sie verzog das
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