Avalon 04 - Die Hüterin von Avalon
Mann auszuprobieren.
»Meine Herrin«, sagte er mit einer Förmlichkeit, die er sich auch nach drei Jahren im königlichen Haushalt nicht abgewöhnt hatte. »Wir haben den Hund gefunden.« Er stockte.
»Und? Ist er verletzt?«, fragte Boudicca.
»Ich glaube, irgendetwas stimmt mit ihm nicht. Er hebt den Kopf, aber er steht nicht auf. Argantilla ist bei ihm, unten am Ende des neuen Grabens. Er ist zu schwer für uns. Wir können ihn nicht allein nach Hause tragen.«
»Natürlich, ja …« Der Hund war in der letzten Zeit zwar abgemagert, aber bestimmt noch immer so schwer wie eines der Mädchen. Argantilla hätte zwar die Männer unten am Graben um Hilfe bitten können, aber Boudicca kannte die fürsorgliche Art ihrer Tochter und verstand, warum sie bei dem Hund geblieben war. Ihre liebende Fürsorge galt allen Tieren – fand irgendjemand einen Vogel mit einem gebrochenen Flügel, dann brachte er ihn immer zuerst zu ihr.
»Wenn er sich verletzt hat, dann muss man ihn ganz vorsichtig hochnehmen. Lauf runter zu den Arbeitern, die gerade die Palisade errichten, und sag ihnen, sie sollen ein paar Stäbe nehmen und eine Trage bauen. Richte ihnen aus, das sei ein Befehl von mir«, fügte sie hinzu, als er sie etwas unschlüssig ansah.
Sie ließ Temella mit dem Bettenrichten allein, sah kurz nach dem Wetter, nahm ihren Schal und schritt über den Hof. Der Himmel hatte sich nun völlig zugezogen, und Regen hing in der Luft. Sie hätte sich gewünscht, Prasutagos hätte die neue rechteckige Wehranlage nicht so riesig gebaut, dass eine komplette römische Festung darin Platz fände. Die ursprünglichen Wälle und Gräben hatte man aufgeschüttet, und sobald ein Bauabschnitt der neuen Umwallung fertig war, machten sich die Holzarbeiter daran, eine Palisade darauf zu errichten, während die Grabenbauer die Umwallung weiter ausbauten.
Am hinteren Ende erspähte sie Argantillas blonden Schopf und kurz darauf auch den Hund, der alle Glieder von sich streckte. Bogle hob den Kopf, als sie näher kam, und wedelte freudig mit dem Schwanz.
»Hallo, mein alter Freund«, murmelte sie, kniete sich neben ihn und legte den großen Kopf in ihren Schoß. »Was ist denn los mit dir?«
Der Hund schnaubte heftig und schloss die Augen, als sie seine Ohren zu kraulen begann. Das Herz wurde ihr schwer vor Mitleid, als sie seine Knochen unter der schlaffen Haut fühlte. Dass Bogle alterte, wusste sie ja, aber Bogle war ein weißer Hund, und seine weiche Hundeschnauze war in all den Jahren nicht die Spur ergraut, was ihr sein hohes Alter viel eher bewusst gemacht hätte.
»Wo ist das Problem, mein alter Knabe?« Sachte tastete sie über seinen Rücken, beugte und streckte die Gelenke, erforschte die langen Muskeln an Rücken und Hüfte. Der Hund ließ sie gewähren, ohne zu wimmern und ohne sich zu bewegen. Nur sein Schwanz schlug träge hin und her.
»Mama, was hat er denn?«
Boudicca zuckte hilflos die Schultern, »Ich kann keine Verletzung feststellen. Ich denke, er ist einfach alt und müde.«
»Wie Großmutter es war?«
»Ja, mein Liebling.« Boudiccas Mutter war im Jahr zuvor verstorben, und Argantilla hatte sich während ihrer letzten Tage rührend um sie gekümmert. »Körper erschöpfen sich, bei Hunden wie bei Menschen.«
»Aber er ist doch nur zwei Jahre älter als Rigana!«, rief Tilla.
»Hundejahre zählen anders«, sagte Boudicca. »Für einen ausgewachsenen Hund ist Bogle schon sehr alt …« So alt wie ihr kleiner Sohn heute wäre, wenn er überlebt hätte … Seltsam, dass ein ganzes Hundeleben verstreichen konnte, während ihr der Tod ihres Kindes noch immer wie gestern erschien.
Wo blieben nur die Männer mit der Trage? Es wurde langsam kalt.
»Aber ich will nicht, dass er stirbt«, brummelte Argantilla.
Hinter ihr stand Caw, dessen Gesicht blass und starr geworden war. Er hat den Tod schon gesehen, dachte Boudicca, und kennt sein Gesicht. Und ich?
Als ihre Mutter gestorben war, war sie selbst nicht zu Hause gewesen, und die Hülle, die von ihr geblieben war und die sie später zu sehen bekommen hatte, war ihr unwirklich erschienen. Hätte sie den toten Körper ihres Sohnes gesehen, oder hätte sie unter ihren Händen gespürt, wie der letzte Hauch Leben aus seinem kleinen Körper gewichen war – so wie sie das in diesem Augenblick bei Bogle spürte –, wäre sie vielleicht nicht jahrelang von Träumen verfolgt worden, in denen sie ihn schreien hörte, weil sie ihn im Stich gelassen hatte.
Sie beugte sich
Weitere Kostenlose Bücher