Avalon 04 - Die Hüterin von Avalon
bekam er sogleich wieder Fieber. Boudicca warf einen kurzen Seitenblick auf ihre Tochter. Rigana war fast fünfzehn – mehr als alt genug für das Weiheritual, durch das sie zur Frau wurde. Boudicca hatte es immer wieder hinausgeschoben, hatte sich vorgestellt, Rigana nach Avalon mitzunehmen, damit ihre Tochter es so erleben konnte wie sie damals. Aber eine so lange Reise war völlig undenkbar, solange Prasutagos nicht in der Lage war, seinen Regierungsgeschäften nachzugehen. Doch immerhin war Rigana auch so alt genug, um als Frau angesehen zu werden, und hatte ein Recht auf eine ehrliche Antwort.
»Du machst dir Sorgen um ihn«, sagte Rigana treffend. »Du schläfst nicht mehr, und du hast Ringe unter den Augen. Wenn du schon die Geschäfte des Königs machen musst«, sagte sie und zeigte in Richtung Gehöft, »dann lass dir von mir und Tilla wenigstens bei deinen alltäglichen Dingen helfen.«
»Das ist sehr lieb gemeint von euch, aber …«
»Mutter! Mach mir nichts vor. Man muss mich nicht schützen …«
Außer vielleicht vor dir selbst, dachte Boudicca im Stillen und fühlte sich an sich selbst erinnert, als sie im gleichen Alter war. Sie hatte Rigana mitgenommen aus dem unbestimmten Gefühl heraus, dass das Mädchen langsam mit den Verantwortungen eines Stammesführers vertraut werden sollte, da sie aller Voraussicht nach eines Tages ein Oberhaupt heiraten würde. Dabei wehrte sie sich gegen den bewussten Gedanken, dass sich wohl nichts mehr daran ändern würde, dass Rigana die Thronerbin war.
»Ja, das muss man vielleicht nicht«, sagte sie sanft, »aber wenn du selbst einmal Kinder hast, dann wirst du verstehen, warum man als Eltern immer das Gefühl hat, man müsste es …«
»Vater braucht deine Hilfe jetzt viel mehr«, sagte Rigana bedrückt. »Wenn du ihn nicht heilen kannst, dann solltest du jemanden finden, der es vermag.«
Boudicca seufzte. »Lhiannon ist in Eriu, und die Druiden auf Mona haben sich hinter ihren Schutzwällen verschanzt und warten darauf, dass die Römer kommen.«
»Aber du kannst doch fragen – vielleicht gibt es jemanden, der sich dennoch lieber hierher in Sicherheit begeben würde!«
»Sehr gut«, antwortete Boudicca. So konnte sie sich wenigstens sagen, dass sie ihrer Tochter zuliebe um Hilfe bat und nicht wegen ihrer eigenen schrecklichen Angst, die sie nächtelang um den Schlaf brachte, wenn sie neben ihrem Gemahl lag und bangend seinen gequälten Atemzügen lauschte. Calgac war sehr verlässlich. Mit ihm würde sie darüber sprechen, sobald sie wieder in der Festung waren.
Drostacs Gehöft lag auf einer kleinen Anhöhe. Auf den Feldern ringsum weideten Rinder und Pferde. Als sie sich näherten, stürmte ein ganzes Rudel Hunde vom Hof, bellte wie wild. Neben einigen Pferden stand ein Soldat Wache – die Römer waren offenbar schon eingetroffen.
»Komm dorthin, meine Königin.« Calgac zeigte in Richtung einer Gruppe Männer, die auf dem nahen Feld offenbar eine heftige Auseinandersetzung führten. Mit Schaudern stellte sie fest, dass einer von ihnen Cloto war.
Boudicca hätte gute Lust gehabt, auf Branwen über den Weidenzaun zu springen und in fliegendem Galopp mitten zwischen die beiden zu fahren, aber das hätte nur das Vieh verängstigt, über das sie anscheinend stritten, und Cloto erbost, ganz davon abgesehen, dass sich so etwas für eine Königin nicht ziemte.
»Ich schulde dir drei Kühe«, rief Drostac. »Das streite ich gar nicht ab. Sie sind dort hinten eingepfercht. Aber das hier ist ein Bulle, und den nimmst du mir nicht weg!«
Das umstrittene Tier, ein brauner Bulle mit kräftigen Schultern und einem misstrauischen Flackern in den Augen, stand wenige Schritte daneben.
»Ich bin es, nicht du, der entscheidet, welches Tier ich nehme«, sagte Cloto. »Und ich habe dieses ausgesucht.« Er lächelte, und schlagartig war Boudicca klar, dass Cloto genau wusste, dass dieser Bulle Drostacs ganzer Stolz war.
Die Köpfe schwenkten herum, als sie näher kam, gefolgt von Rigana, die einen Schritt hinter ihr lief. Ihr Blick wanderte von Cloto zu dem römischen Amtsträger, der ihn begleitete, einem kleinen Mann, der unruhig von einem Fuß auf den anderen trat, als hätte er Angst, gleich im Schlamm zu versinken, und der sich in der Gegenwart des Bullen sichtlich unwohl fühlte.
»Du willst den Bullen?« Boudicca kicherte. »Aber warum denn, Cloto? Hast du alles vergessen, was du einmal über Viehzucht gelernt hast?« Sie schüttelte mitleidig den Kopf und
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