Avalon 04 - Die Hüterin von Avalon
wandte sich an den Römer. »Ich nehme an, du willst diesen Mann hier im kommenden Jahr erneut besteuern? Woher sollen bis dahin dann die Kälber kommen, wenn ihr ihm den Bullen wegnehmt?«
Drostac biss sich auf die Lippen und sparte sich seine Bemerkung, als der Römer die Stirn runzelte. Clotos Miene hatte sich verfinstert. Doch als er sich umdrehte, um ihr zu antworten, stieß Boudicca nur ein kurzes, spitzes Lachen aus und wandte sich zu ihrer Tochter.
»Rigana, Liebes, sei bitte so gut und geh hinter den Zaun zurück«, sagte sie mit hell klingender Stimme. »Und das, meine Herrschaften, sollten wir ebenfalls tun. Dieses Tier macht mir nicht gerade einen friedlichen Eindruck …«
Riganas Unmut, von ihrer Mutter herumkommandiert zu werden, verflog sogleich, als sie ein Zwinkern in ihren Augen sah. Das ließ sich der römische Amtsträger nicht zweimal sagen und folgte Rigana auf dem Fuße. Boudicca und Drostac kamen nach, und Cloto war nun allein mit dem Bullen, der mittlerweile tatsächlich aufgestört war und unruhig mit den Hufen scharrte.
Hinter dem Tor angekommen, fasste Boudicca den Römer am Arm. »Wenn ihr diesen Bullen schlachtet, habt ihr nicht viel davon, außer vielleicht Schuhleder«, sprach sie vertraulich auf ihn ein. »Aber glaub mir, das Fleisch von drei zarten Färsen werden euch eure Truppen sehr viel mehr danken. Hingegen werden sie euch verfluchen, wenn ihr versucht, ihnen diesen Bullen zu essen zu geben.«
Auf dem Feld, durch das sie ritten, tollten junge Lämmer derart ausgelassen, dass man sich nicht vorstellen konnte, dass ihre Mütter auch einmal so gewesen waren. Ab und zu hob eines der Mutterschafe den Kopf und mähte, was wie eine Ermahnung klang. Boudicca konnte das sehr gut nachempfinden. Kurz nach der Frühjahrssonnwende hatte Argantilla ihr verkündet, dass sie angefangen hatte, ›aus der Öffnung der Frauen‹ zu bluten, und wollte auch sofort wissen, wann ihr Weihezeremoniell stattfinden könne. Im Gegensatz zu Rigana, die ihre Monatsblutung als lästige Plage empfand, war Argantilla schon immer sehr viel ungezwungener mit ihrer Weiblichkeit umgegangen.
Jetzt waren sie zu dritt unterwegs, ritten in leichtem Galopp durch die Felder, was den Töchtern offenbar genauso viel Spaß bereitete wie Boudicca selbst. »Langsam, ihr zwei«, rief sie, als ihre jüngere Tochter an ihr vorbeipreschte. »Wenn ihr eure Pferde müde reitet, bevor wir ankommen, dann müsst ihr absteigen und laufen.«
Boudicca genoss es, auf ihrer grauen Stute gemütlich im leichten Passgang zu reiten, wobei sie innerlich mit sich haderte – zum einen war sie besorgt, weil sie Prasutagos in Dun Garo zurückgelassen hatte, zum anderen hatte sie ein schlechtes Gewissen, sich hier draußen unter freiem Himmel so erleichtert und unbeschwert zu fühlen. Hätte sie besser bei ihm bleiben sollen? Aber er hatte darauf bestanden, dass sie die Mädchen zur Heiligen Quelle mitnahm.
Eigentlich hätten sie die Strecke in zwei Tagen schaffen können, aber die Wagen, in denen noch andere Frauen mitreisten, waren langsam. Unter ihnen waren Temella sowie die Gemahlinnen einiger Stammesführer. Da ihre eigene Mutter nun schon etliche Jahre tot war, hatte man Nessa aus Ramshill holen lassen. Auch Drostacs Frau war mit dabei, die ihre Tochter Catuera begleitete. Sie war die Dritte im Bunde der Mädchen, die die Weihe empfangen sollten.
»War das Ritual für dich genauso?«, fragte Argantilla, als sie in den Hütten unter den Bäumen Quartier für die Nacht bezogen.
Boudicca legte einen Arm um ihre Tochter. Tilla war noch nicht ganz so groß wie sie, hatte aber schon weich gerundete Formen. Den weiblichen Körperbau und ihr sanftes Wesen musste sie von der väterlichen Seite der Familie haben, dachte Boudicca. Sie hatte ganz und gar nichts von dem schlaksigen, sprühenden Naturell, das sie selbst mit Rigana gemeinsam hatte. Rigana wäre mit dreizehn längst nicht reif genug gewesen für das Weiheritual zur Frau, doch für Argantilla war es an der Zeit.
»Nein, denn damals war ich bei den Druiden auf Mona. Als meine Blutungen begannen, gab es eine Feier, aber das Ritual wurde dort so lange aufgeschoben, bis ein Mädchen so weit war, zu entscheiden, ob es Priesterin werden wolle. Folglich war ich viel älter …« Und in mancher Hinsicht auch viel jünger, sinnierte sie und drückte ihre Tochter noch einmal fest. Auf Mona lebten die Druiden in himmlischer Abgeschiedenheit von den Fragen dieser Welt – zumindest war das
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