Avalon 04 - Die Hüterin von Avalon
Orten wie diesem und an der Blutquelle auf Avalon spürte sie eine machtvolle Energie. Und es gab Zeiten, da hatte sie diese Kraft auch tief in sich gespürt. Doch als die drei Mädchen einander umarmten, sah sie die Jungfräuliche Göttin sich offenbaren, in all ihrer unendlichen Mannigfaltigkeit, strahlend in ihrer Vielfalt, und Boudiccas Tränen vermengten sich mit den Wassern der Heiligen Quelle.
»Rigana, Argantilla, Catuera, rein und leuchtend, entblößt in eurer Schönheit, erhebt euch, oh, meine Schwestern, und vereint euch nun mit uns …«
Die Mädchen kamen eilfertiger aus dem Teich, als sie hineingegangen waren, keuchten vor Kälte und Gelächter, rieben sich gegenseitig trocken und zogen ihre Tuniken über. Unterdessen stellten sich die Frauen zu beiden Seiten des Pfads einander gegenüber, fassten sich paarweise an den Händen und hoben die Arme, sodass ein Tunnelgang entstand, durch den die Mädchen gehen mussten, um zum Festmahl zu gelangen, das in der Lichtung dahinter bereitstand.
»Aus der Blüte kommt die Frucht und aus der Frucht der Samen«, sangen die Frauen. »Im Tode werden wir wiedergeboren, begraben in der Erde befreit …«
Boudicca bildete mit Catueras Mutter ein Paar im Tunnelgang. Und als Rigana hindurchging, schwangen sie die erhobenen Arme nach unten, fingen sie ein und hielten sie fest.
»Mit dieser Umarmung bist du in den Kreis der Frauen geboren«, wisperte Boudicca.
»Mit dieser Umarmung bist du in ein neues Leben geboren …«, erwiderte darauf Catueras Mutter.
Dann entließen sie sie zum nächsten Paar und öffneten ihre Arme für Catuera. Und der Gesang ging weiter:
Geburt und Wiedergeburt -
Indem wir sterben, kehren wir wieder,
Indem wir uns lösen, werden wir beschenkt,
Indem wir uns entblößen, erkennen wir.
Das Ritual setzte sich fort, während die Mädchen durch den Tunnelgang von einem Paar zum anderen gingen. Das Sonnenlicht des neuen Tages fiel in dicken Bündeln durch das Geäst der Bäume, hervorgehoben durch den Dampf, der vom Topf über dem Feuer aufstieg. Die Mädchen saßen auf Ehrenplätzen, waren gekrönt mit Kränzen aus geflochtenen jungen Primeln und Schlüsselblumen. Lachend und errötend vor Scham nahmen sie die weisen und mahnenden, zumeist unzüchtigen Worte der versammelten Frauen entgegen.
Boudicca nippte am Minztee, den Nessa ihr schweigend gereicht hatte. Die gleiche Mischung aus Freude und Verlust, die sie jetzt empfand, hatte sie auch nach ihren Geburten erlebt – kein neues, überraschendes Gefühl also. Doch auf die Schmerzen einer Geburt war sie eingestellt, jetzt aber, bei dieser zweiten ›Entbindung‹, zerriss ein neuer, unerwarteter Schmerz ihr Herz in tausend Stücke.
Doch ihre Kinder waren ihr nicht genommen, sie waren noch bei ihr. Die Druiden lehren, dass der Tod nur eine andere Art von Geburt ist. Sollte sich Prasutagos auf diese Reise begeben und von der einen in die andere Welt gehen, dann konnte sie daran nichts ändern. Ihre Töchter aber würde sie noch immer in den Armen halten können, auch wenn dieser Tag vorbei war und auch wenn ihre Beziehung fortan eine ganz neue war. Aber wenn Prasutagos starb …
Göttin! Herrin der Heiligen Quelle! Ich werde ihm deine Wasser zu trinken geben, und wenn er gesundet, dann werden wir dir hier an deinem Schrein einen Tempel errichten. Herrin des Lebens! Lass meinen Gemahl leben!
Prasutagos lag in dem großen Bett, völlig reglos und still.
Gute Göttin, ist er tot? Boudicca verharrte, als sie den Vorhang hob, starrte auf ihren Gemahl.
Aber er hätte doch sicherlich auf sie gewartet – wie konnte er gehen, ohne ihr Lebewohl zu sagen –, man hätte es ihr doch sicherlich gesagt, wenn er gestorben wäre. Da sah sie, wie sich sein Brustkorb hob und wieder senkte, und ihr Herz schlug höher. Und obwohl sie ganz leise war, kein Geräusch von sich gegeben hatte, schlug er die Augen auf und grüßte sie mit diesem lieben, wonnigen Lächeln, das sie so sehr an ihm mochte.
Boudicca fiel es schwer, Worte zu finden, so sehr weinte ihr Herz. Wie dünn er ist! Ich hätte nicht gehen sollen!
»Ja, nun sind sie Frauen, unsere Töchter …«
»Es war ein schönes Ritual«, sagte sie, nahm ihren Umhang ab und ließ ihn auf den Boden gleiten. Das Bett knarzte, als sie sich neben ihn setzte.
Er seufzte. »Ja, die Jahre sind nur so verflogen, es kommt mir vor wie gestern, als ich Rigana zum ersten Mal auf dem Arm hielt … Und du, meine Frau, siehst heute nicht älter aus als damals
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