Avalon 04 - Die Hüterin von Avalon
bruchstückhaft erinnerte sie sich, dass es Argantilla war, die in den vergangenen Tagen den Haushalt zusammengehalten hatte. Aber das überraschte sie nicht sonderlich, wie sie in einem Hauch von auflebendem mütterlichem Gefühl feststellte. Rigana ist ganz nach mir geraten, dachte sie benommen. Sie ist wie ein Schwert ohne Scheide.
Fügsam ließ sie sich von Calgac in den Sattel helfen. Branwen zeigte sich von ihrer besten Seite, schritt ruhig und gemessen den Weg entlang, als ob sie nichts anderes kannte.
Auf dem weiten Heideland nördlich von Dun Garo lagen etliche rundförmige Grabhügel, letzte Ruhestätten der alten Könige. Jetzt war dort eine neue Grube ausgehoben. Ihre Augen mieden den Blick in die mit Holz ausgekleidete Grabkammer, wo auf Schaffellen eine Bahre stand, auf der die sterblichen Überreste Prasutagos’ zu sehen waren. Den ganzen Tag über war sein Volk an diesen Ort gekommen, um Abschied zu nehmen. Nun stand die Trauerschar davor, schwieg und wartete. Jetzt bin ich an der Reihe, dachte sie.
Gewöhnlich wurden einem toten König reiche Grabbeigaben dargeboten, doch alles, was kostbar war, hatten sie vor seinem Tode verkauft. Der Reichtum des ›glückreichen Königs Prasutagos‹ war seinem Volk zugeflossen. Ein paar Beigaben waren es aber doch. Neben vertrauten Gegenständen aus dem königlichen Haus waren es ganz persönliche Dinge, die von Herzen kamen und von daher einen ganz eigenen Wert hatten – ein besticktes Tuch, eine geschliffene Holzschale, sogar ein Spielzeugpferd. Derlei Schätze konnten die römischen Eroberer nicht besteuern.
Brangenos stand am Scheiterhaufen. Neben ihm steckte eine brennende Fackel im Boden. Und offenbar hatte er irgendwo noch eine frische schneeweiße Robe aufgetan mit weiten Falten, die der leichte Wind aufplusterte. Er war ein Druide mit vielen Gaben, dachte sie düster – ob Musik, Heilmittel oder Ritual – egal, was man brauchte, er war da. Sie hätte ihn gern gehasst, weil es ihm nicht gelungen war, den König gesund zu machen. Aber dafür hätte sie Gefühle aufbringen müssen.
Sie stieg vom Pferd und nahm zusammen mit ihren Töchtern den vorgesehenen Platz vor dem Scheiterhaufen ein. Bituitos und Eoc hatten Totenwache gehalten, seit man Prasutagos in sein Grab gebettet hatte. Sie hatten den Lebensweg des Königs von Kindheit an begleitet, waren mit ihm aufgewachsen. Boudicca nahm an, dass ihnen der Verlust fast genauso das Herz zerfraß wie ihr. Weinend sprangen sie hinunter in die Grabkammer und hoben ihren König hinauf, damit er zum Feuer getragen wurde.
»Dies ist der Leichnam eines Mannes, den wir liebten.« Der Blick des Druiden ruhte auf der Bahre. »Doch Prasutagos ist nicht dies Fleisch. Dies Fleisch ist Erde und die Speise der Erde, war nur geborgt für eine Zeit. Nun müssen wir ihn zurückgeben. Aus den Wassern, die der Schoß der Göttin sind, ist dieser Mann gekommen. Und diese Wasser flossen durch seine Adern wie Blut. Nun wird die Erde gespeist mit dem Blut des Königs. Durch diesen Körper strömte einst der Atem des Lebens. Diesen hat er nun ausgehaucht in den Wind. Indem wir diesen Wind atmen, nehmen wir seinen Geist auf … und hauchen ihn erneut aus. In diesem Körper brannte unsterbliches Feuer. Auf dass diese Flamme ihn nun erlösen möge!«
Er zog die Fackel aus dem Boden und steckte sie in die ölgetränkten Holzscheite, von denen augenblicklich gierige, wild flackernde Flammen emporschlugen. Boudicca spürte, wie sich die Finger ihrer Töchter tief in ihre Arme krallten, und erst da merkte sie, dass sie aufgestanden war und auf das Feuer zuging. Warum haltet ihr mich auf?, grollte sie. Wenn ich mit ihm verbrenne, werde auch ich erlöst sein …
Rigana begann zu schluchzen, und aus einer spontanen mütterlichen Regung heraus, die ihren eigenen Kummer überstieg, nahm sie sie in ihre Arme. Argantilla hielt Mutter und Schwester umschlungen. Und plötzlich wurde Boudicca die wohltuende Wärme ihrer Körper bewusst, die sich an den ihren schmiegten. Er lebt in ihnen … solange ich unsere Kinder habe, ist er nicht völlig fort … Und mit einem Mal schmolz das Eis, das ihre Seele betäubt hatte, und sie weinte heilsame Tränen.
Während der Leichnam brannte, stiegen die Leute in die Grabkammer hinab, hoben die einzelnen Grabbeigaben auf und zerbrachen sie feierlich, zerrissen Stoffe, zerknickten Metalle – so wie der Leib des Königs zu Asche zerfiel, so sollte auch jedes Stück in seinem Grab zerfallen. Bituitos zog
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