Avalon 04 - Die Hüterin von Avalon
das Schwert mit dem goldenen Griff heraus, das sie einst vor den römischen Inspektoren versteckt hatten, setzte die Spitze an einen Stein und bog die eiserne Klinge, bis sie barst. Eoc zerknickte den mit Bronze ummantelten Schaft, an dessen spiralförmigem Hals ein roter Schmelzglasstein glitzerte. Das Funkeln des Steins verschwamm vor ihren tränenverschleierten Augen. Wie konnte die Sonne an so einem Tag nur so hell scheinen? Eigentlich müssten die Himmel darüber weinen, solch einen Mann zu verlieren.
Brangenos nahm seine Harfe und begann zu singen:
Der König, der in Frieden herrscht,
ist Schutzschild seines Volkes -
Dessen Lob sein Ruhm, dessen Liebe sein Reichtum
Bis seine Zeit zu Ende ist.
Der König, der sein Volk dem Schutz
der Götter befehligt, wird geliebt -
Er speist mit den Gesegneten, ergeht im Licht,
Bis er einmal wiederkehrt …
Dicker Rauch quoll nach oben, schimmerte bläulich im Sonnenlicht. Der Geruch des Zerfalls mischte sich mit dem stechenden Duft der Kräuter im Scheiterhaufen. Boudicca schaute nicht hin, wandte sich ab, wollte den Verfall seiner Hände nicht bezeugen, die sie so süß berührt hatten, den Verfall seines Gesichts – aber dann lenkte sie den Blick doch zurück in die lodernden Flammen. Die Wirklichkeit, so dachte sie, war am Ende nicht schlimmer als die Erinnerungsbilder, die in ihr aufstiegen.
»Feuer brenne!«, rief der Druide. »Wind wehe! Fleisch vergehe! Geist verwehe!«
Seine Augen waren geblendet vom grellen Sonnenlicht. Das Feuer, so sagten die Druiden, befreit die Seele, verdorrt das Fleisch, die irdene Hülle, den Urstoff, der die Seele gefangen hielt. Kein Wunder, dass die Welt im Licht der Sonne strahlte und vor Wonne jauchzte – denn Prasutagos war nun Teil aller Elemente.
Er war ein Teil des Ganzen … Einen kurzen Augenblick lang, der ewig schien, war Boudicca eins mit der ganzen Welt um sie herum – mit ihren Töchtern, dem Land, dem Volk, das um den König weinte. Prasutagos hatte alle geliebt. Und in diesem Augenblick fühlte sie sich noch einmal umfangen von ihm, fühlte seine Gegenwart.
Sie hob den Kopf, und ein plötzlicher Gedanke durchzuckte sie: War es die feurige Hitze über dem Scheiterhaufen, die die Luft flirren ließ, oder bestand die ganze Welt nur aus einem einzigen Vorhang aus Licht, hinter dem sich eine unvergängliche Wirklichkeit verborgen hielt?
Oakhalls schien kleiner, als Lhiannon es in Erinnerung hatte. Oder es kam ihr nur so vor, weil es inzwischen gedrängt voll mit Menschen war. Eigentlich sollte sie das nicht verwundern, denn der Zustrom von Flüchtlingen hatte bereits begonnen, bevor sie nach Eriu gegangen war. Trotzdem war der Anblick für sie befremdlich.
»Danke, dass du die Pferde nach uns ausgeschickt hast«, sagte sie, als sie Coventa den Pfad hinunter zum Haus des Druidenrats folgte.
»Nach all den anderen Visionen, die ich in letzter Zeit hatte, war diese zur Abwechslung eine sehr willkommene.« Coventa warf ihr einen traurig lächelnden Blick über die Schulter zu.
Die junge Frau in der dunkelblauen Robe einer Oberpriesterin zu sehen erschien Lhiannon ebenfalls befremdlich. Aber nun gut, dachte sie, immerhin ist Coventa inzwischen über dreißig. Jünger werden wir alle nicht.
»Bist du wegen Boudicca zurückgekommen? Wie ich gehört habe, ist ihr Mann gestorben. Rianor hat sich aufgemacht, um zu sehen, ob er irgendetwas für sie tun kann. Wenn er gewusst hätte, dass du kommst, dann wäre er vielleicht noch geblieben …« Sie drehte sich um, als Lhiannon abrupt stehen blieb.
»Ich habe gespürt … dass sie eine schwere Zeit durchmacht«, murmelte sie. »Danke, dass du mir das erzählst.«
»Das überrascht mich nicht. Ihr beide standet euch immer sehr nahe. Es heißt, er war ein guter Mann.«
Wohl wahr, dachte sie. Aber wer weiß, vielleicht war das Band der Liebe am Ende verblasst, das damals bei dem Ritual zur Amtseinführung des Königs gewoben worden war, als Boudicca die Kraft der segnenden Göttin in sich getragen hatte? Vielleicht waren König und Königin nach sechzehn Jahren Ehe am Ende nur noch durch eine gewohnheitsmäßige Zuneigung verbunden gewesen, so wie die meisten Paare? Dennoch hatte Lhiannon Boudiccas Seelenpein gespürt und wusste, wie gequält sie war … jetzt, wo Prasutagos tot war. Wo würde seine Königin Trost finden?
Aus dem Haus des Druidenrats drang undeutliches Stimmengemurmel – ein Streit vielmehr, wie sie feststellte, als sie näher kamen.
Damit Luft
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