Avalon 04 - Die Hüterin von Avalon
sterben müssen, als er dort oben in den Bergen kämpfte …« Er deutete in Richtung der dunklen Gebilde, die sich schemenhaft jenseits des Wassers abzeichneten. »Aber er ist stets mit heiler Haut davongekommen.«
Lhiannon nickte. Die Tatsache, dass es Paulinus letztendlich gelungen war, die Ordovicer zu unterwerfen, welche tapfer weitergekämpft hatten, selbst nachdem Caratac den Römern übergeben worden war, sagte einiges über ihn aus.
Aber was sollte sie tun? Wie sollte es ihr gelingen, den Kummer einer einzelnen Frau – noch dazu einer, die sie liebte – abzuwägen gegen die Not der druidischen Gemeinschaft, welche die Traditionen eines ganzen Volkes bewahrte? Es war das alte Lied – wozu den Körper schützen, wenn die Seele verloren ging? Und wenn der Feind tatsächlich so stark war, wenn die Kriegsgötter sämtlicher Stämme sich nicht behaupten konnten gegen Jupiter und Mars Ultor, könnte sie es dann je ertragen, sich in das sichere Leben mit Boudicca begeben und den Kampf nicht wenigstens versucht zu haben?
»Wir haben uns hier versammelt, um über die Zukunft des Stammes der Icener zu beraten«, sagte Morigenos in einer feierlich getragenen Sprechweise, die ihm sonst auch zu weniger bedeutsamen Anlässen eigen war. Die Stammesführer, die um das Große Feuer vor dem Haus des Königs versammelt waren, hatten ihn, den Ältesten, zu ihrem Sprecher erkoren.
Seit ihrer Hochzeit, so dachte Boudicca wehmütig, hatte sich hier nicht viel verändert – Gebäude und Palisaden, alles sah fast noch genauso aus wie damals. Bis auf den kleinen Tempel gleich außerhalb von Dun Garo. Auch wenn Prasutagos ein leidenschaftlicher Baumeister gewesen war, er hätte es nie gewagt, die alten Mauern seiner Vorfahren umzugestalten. Heute waren die Ältesten der Icener-Sippen in Dun Garo zusammengekommen, um einen neuen König zu wählen.
»Wir haben einen edlen König zu Grabe getragen, Prasutagos, Sohn des Domarotagos, Sohn der vielen Väter des Brannos, der uns in dieses Land geführt hat. Es gibt keinen männlichen Nachfahren mehr vom Blute unserer Könige.« Morigenos zupfte an seinem altersgrauen Bart.
Boudicca seufzte, erinnerte sich an ihren verstorbenen Sohn. Hätte er überlebt, wäre er mittlerweile fast im gleichen Alter wie der junge römische Kaiser.
»Es war der Letzte Wille unseres Königs, sein Königreich zu gleichen Teilen seinen beiden Töchtern und dem römischen Kaiser zu vererben …« Bei diesen Worten kräuselte Morigenos die Lippen, sagte aber nichts, was gegen ihn verwendet werden könnte. Die funkelnden Blicke der anderen ruhten auf Cloto, der einen Tag nach dem Begräbnis eingetroffen war – unangekündigt, ungebeten und unwillkommen.
Wenigstens nur Cloto, dachte Boudicca bei sich, die befürchtet hatte, dass Pollio zum Begräbnis kommen könnte. Sie selbst war lediglich ihrer Kinder zuliebe hier, die neben ihr saßen. Sobald es vorbei war, wollte sie sie nach Ramshill bringen.
Das tief beglückende Gefühl, ihren Gemahl noch einmal zu spüren, das sie auf der Begräbnisfeier überkommen hatte, war so rasch wieder verflogen, wie es gekommen war. Ohne Prasutagos war die Welt öde und leer, doch allein um ihrer Kinder willen musste sie lernen, in dieser Welt zu leben.
»Darüber gibt es nichts zu streiten. Ein Mann kann seine Besitztümer verteilen, wie er möchte. Das ist seine Sache.« Und wie es politisch günstig ist, hörte man den unausgesprochenen Nachsatz. »Doch es ist an uns zu entscheiden, wer den Stamm künftig führen soll.«
»In beiden Dingen liegst du falsch«, übertönte ihn Cloto, der ihm das Wort abschnitt. »Prasutagos war Klientelkönig des Kaisers. Und dieses politische Verhältnis stirbt mit ihm. Somit ist es Sache des Kaisers zu entscheiden, wer dieses Land als neuer Klientelkönig künftig führen soll oder ob die eroberten Gebiete einem direkten Verwalter unterstellt werden.«
»Wir wurden nie erobert!«
»Wir sind Roms Verbündete!«
Alle redeten plötzlich aufgebracht durcheinander.
»Und wer bist du, dass du für den Kaiser sprichst, du Kröte?«, brüllte Bituitos.
»Einer, der Neros Prokurator zu treuen Diensten steht. Während der Statthalter im Westen weilt, habt ihr den Befehlen des Decianus Catus Gehorsam zu leisten. Weder euer noch Prasutagos’ Wille hat irgendeine Bedeutung, bis er nicht von den wahren Herrschern Britanniens anerkannt ist.«
»Wenn sie diesen Willen nicht anerkennen, dann verraten sie eben jenes römische Gesetz, das sie so
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