Avalon 04 - Die Hüterin von Avalon
ihre Gürtel und nahmen die Fackeln in ihre Hände. Als sie das Signal gab, preschten sie los, stoben wie Sternschnuppen durch die Nacht, um den Menschen aller Stämme kundzutun, dass die Britannier auf dem Marsch seien, ihr angestammtes Land zurückzuerobern.
VIERUNDZWANZIG
Die Große Königin reitet eine graue Stute,
Über ihr fliegen Raben,
Wo sie zieht, fürchten sich Adler,
Wo sie geht, sterben Männer!
Die Stute schüttelte den Kopf und schnaubte, als Boudicca sie zügelte. Am zweiten Tag nach der Versammlung hatten die Icener begonnen, nach Süden vorzustoßen, und um sie zu ermuntern, stimmte Brangenos Schlachtlieder zum Marschieren an. Auch die Raben begleiteten sie, schwarze Flecken, die über dem staubigen Boden kreisten und deren raues Krächzen das Donnern der Hufe und Wagenräder durchdrang. Hinter ihr zog ein ungeordneter, tapferer Haufen von Menschen, Pferden und Wagen einher, der nun langsam auseinanderströmte, als sie sich vom Weg auf die Felder zurückzogen, um das Nachtlager aufzuschlagen. Bogle, der der Stute die ganze Zeit an den Fersen geklebt hatte, legte sich mit einem Stöhnen nieder, und die anderen Hunde, die sich auf dem langen Tagesmarsch die Pfoten wund gelaufen hatten, kauerten sich neben ihn.
»Ho, Tingetorix!«, rief Boudicca, als ein grauhaariger Krieger auf einem gefleckten Pferd auf sie zukam. Er humpelte infolge einer Verletzung, die er sich in den Schlachten unter Caratac zugezogen hatte, aber zu Pferde war er noch immer schneller als die meisten der jüngeren Männer. »Wie viele Schwerter bringst du uns heute?«
In Dunford waren die Schmiede nach wie vor eifrig dabei, Schwerter und neue Waffen zu schlagen sowie alte Waffen aufzuarbeiten. Jeden Tag sattelte man ein bis zwei Beutel voller Klingen auf ein Pferd und schickte einen Reiter aus, um die Kolonne mit Nachschub zu versorgen.
»Ein Dutzend.« Er brachte sein Pferd neben ihr zum Stehen. »Und genauso viele Speerköpfe.«
»Damit können wir ein Dutzend weitere Männer ausrüsten, die jetzt nicht mehr mit Stöcken zu üben brauchen, sondern richtige Speere in die Hand bekommen«, antwortete sie zufrieden.
Einige hatten verschiedene Vorräte dabei sowie Waffen, die der römischen Beschlagnahmung entronnen waren, die meisten aber hatten nur Bogen und Schleudern und die wenigsten gar einen Jagdspeer. Prasutagos war wohl nicht der Einzige, der Waffen versteckt gehalten hatte. Da die Haupttruppe an den langsamen Schritt der Ochsengespanne gebunden war, kam es immer mal wieder vor, dass ein Reiter ausbrach und die Zeit nutzte, um zurück auf das heimische Gehöft zu galoppieren, um Schwert, Schild und Helm aus Kriegszeiten seiner Väter zu holen und nebenbei auch Nachbarn zu überzeugen, sich dem Aufstand anzuschließen.
»Brangenos sagt, dass mein Rücken so weit verheilt ist, um mich langsam an den Umgang mit dem Schwert zu gewöhnen«, erzählte Boudicca ihm. Sie war immer schon stark und umtriebig gewesen, doch ihre Muskeln hatten noch nie so schwer gelitten, sodass sie nun vor allem die Partien stärken musste, die im Umgang mit Schwert und Schild besonders beansprucht wurden. Selbst die Männer, deren Körper durch jahrelange Feldarbeit gestählt waren, spürten anfangs alle Knochen.
»Ach, sagt er das?«, meinte der Krieger. »Dann sehen wir uns ja nach dem Abendessen.«
Boudicca lachte. Das tagelange Geschaukel auf dem Pferd war der Heilung ihres Rückens zwar nicht eben förderlich gewesen, doch ließ sie sich dadurch nicht entmutigen. »Nein, rufe die Stammesführer zusammen. Wir müssen jemanden in die Stadt schicken …« Sie hörte, wie ihre Stimme tiefer wurde, und schloss kurz die Augen, als sie erfasst wurde von jenem schwindelerregenden Taumel, der ihr sagte, dass die Morrigan in den Vordergrund ihres Bewusstseins drängte. »Wir müssen herausfinden, ob sie von unserem Vormarsch wissen, wie sie sich verteidigen wollen und ob sie Unterstützung angefordert haben.«
Das unruhige Flackern in seinen Augen verriet ihr, dass Tingetorix die Gegenwart ihrer inneren Ratgeberin gewahrte. Er und die anderen erfahrenen Männer konnten über ihren Kenntnisreichtum in allen Bereichen der Kriegsführung immer wieder nur staunen. Mit jeder Stunde wurde die Verbundenheit der Icener-Königin mit der Großen Königin enger.
Wenn die Morrigan in ihr war, dann spürte Boudicca nicht mehr die innere Leere, die Prasutagos in ihrer Seele hinterlassen hatte.
»Jawohl, meine Königin.« Der Krieger verbeugte sich
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