Avalon 04 - Die Hüterin von Avalon
Liedern besungen?
Während der Barde spielte, war Mearan erschienen, was Boudicca zunächst gar nicht mitbekommen hatte. Mearans Erscheinen war überraschend, denn gewöhnlich nahm die Hohepriesterin die Mahlzeiten für sich in ihrem eigenen Haus ein, und ihre Anwesenheit an den Hochfesten war immer von einer Zeremonie begleitet. Sie war sehr blass, was selbst der rote Feuerschein nicht kaschieren konnte. Gut möglich, dass sie die musikalische Ablenkung genutzt hatte, damit keiner merkte, dass man ihr auf den Stuhl hatte helfen müssen.
Helve hingegen blühte förmlich auf. Die Priesterin war stets freundlich zu Boudicca gewesen, was aber wohl eher auf Boudiccas königliche Geburt zurückzuführen war und weniger auf persönliche Zuneigung. Boudicca fragte sich, wie wohl die anderen mit Helve umgehen würden, sollten sich die Erwartungen erfüllen und Helve zum Orakel erkoren werden. Andererseits konnte sie sich nicht vorstellen, dass Helve es ohne Weiteres wegstecken würde, wenn es anders käme. Sie kannte den Ausdruck auf den Gesichtern der Königssöhne, die danach trachteten, ihre Väter zu beerben. Und sie kannte den Ausdruck danach, wenn die Wahl der Stammesführer zuweilen auf einen anderen Nachfolger der königlichen Sippe gefallen war.
Die Lederhäute, die den Eingang verhängten, wurden beiseitegezogen, und der herrliche Duft von geröstetem Wildschwein zog herein. Die alte Elin führte den Festzug an; zu Ehren der Jahreszeit ruhte ein Efeukranz auf ihrem Haupt. Schalen mit Brei und getrockneten Früchten, Teller mit Wurzelgemüse und Körbe voll mit Würsten und Käse wurden hereingetragen. Zwei der älteren Jungen brachten ein Brett mit Schweinefleisch, das duftend weiße Dampfkringel in die Luft schickte. Allen lief das Wasser im Munde zusammen, als der Erzdruide die Hände hob und einen Segen über das Essen psalmodierte.
Boudicca leerte ihre hölzerne Bierschale und lehnte sich mit einem Seufzer zurück. »Das war lecker. Und das erste Mal seit Tagen fühle ich mich wohlig warm, innen und außen.«
»Deine Wangen sind ganz rot vom Bier«, bemerkte Coventa. »Oder ist es deshalb, weil Rianor dich die ganze Zeit anstarrt?«
»Tut er nicht.« Boudicca sah auf und merkte sogleich, dass der Junge dies als Einladung aufgefasst hatte und mit zwei Freunden herüberkam.
»Ich denke, er mag dich …«, sagte Coventa schmunzelnd und quiekte, als Boudicca sie zwickte.
Rianor war kein Junge mehr, so viel stand fest. Während der letzten Monate war er enorm in die Höhe geschossen, und an seinem Kinn wuchs der erste dunkle Flaum. Nur wenn sie ihn mit den Kriegern verglich, die im vergangenen Sommer hier geweilt hatten, dann schien er ihr noch immer wie ein Kind.
»Rutscht mal zur Seite, Mädchen!« Er lachte. »Oder habt ihr so viel gegessen, dass wir nicht mehr dazwischenpassen? Dass ihr den Platz am Feuer für euch allein gepachtet habt, geht ja wohl nicht.«
»Willst du sagen, ich bin fett geworden?«, meinte Boudicca empört, rutschte aber ein Stück, sodass Rianor sich dazwischenzwängen konnte. Sie errötete leicht, als er den Arm um ihre Schulter legte. Sein Freund Albi versuchte ebenfalls, sich auf die Bank zu drücken, schaffte es aber nicht und landete im Stroh vor ihren Füßen, wo sich die anderen Burschen auf ihn warfen und eine scherzhafte Balgerei begannen, so wie das die Jagdhunde ihres Vaters immer taten, wenn sie vor dem Feuer lagen.
Im Rudel gab es eine Rangordnung – im Rudel der jungen Burschen ebenfalls. Und Rianor war eindeutig ein Anführer. So wie auch Cloto, doch seit dem Besuch der Könige mieden ihn viele seiner früheren Gefährten.
»Wie hat dir denn unser neuer Barde gefallen?«, fragte Rianor.
»Seine Augen waren so traurig«, bemerkte Coventa mit einem Seufzen.
»Nun, sein Lied auch.«
»Dann sollte uns das eine Lehre sein«, sagte Cloto, und seine Stimme klang harsch. »Niemand kann die Römer zurückschlagen. Vercingetorix hat es versucht und starb, und auch all die stolzen Könige, die hierher gekommen sind, werden sterben.«
»Caesar hat zwar Vercingetorix bezwungen, aber Caesar ist tot«, gab Rianor zurück. »Der Kaiser, den sie jetzt haben, ist kein Krieger.«
»Muss er auch nicht«, sagte Cloto grimmig. »Er hat Feldherren, die diese Arbeit für ihn erledigen.«
»Du denkst also, wir sollten sie einfach gewähren lassen?«, rief Albi. Sie redeten immer lauter, sodass sich ringsum schon Köpfe nach ihnen drehten. Boudicca versuchte, die erhitzten Gemüter
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