Avalon 04 - Die Hüterin von Avalon
ihm zur Seite zu springen. Und das genügt, eine andere Rechtfertigung brauchen die gar nicht!«
»Aber Helve hat ihren Einmarsch doch vorhergesehen …«, warf Coventa ein und streckte die Hände von sich, um ihre Worte zu unterstreichen. »Nur wenn wir uns alle zusammentun und uns gegen die Römer verbünden, haben wir eine Aussicht auf eine Zukunft. Versteht ihr das denn nicht?!«
Einen Augenblick starrten sie einander an – der zornentbrannte Cloto und die hellseherische Coventa. Aus wem sprach die Wahrheit? War das Schicksal vorherbestimmt, wie in den Geschichten, die der alte griechische Sklave am Hofe Cunobelins früher immer erzählt hatte?
»Seid verflucht! Allesamt!«, brüllte Cloto. »Wenn diese Insel im Blut ersäuft, dann werdet ihr euch an meine Worte noch erinnern und euch wünschen, ihr hättet sie befolgt …«
Da griff Lugovalos schließlich doch ein, hob die Hand, um die Wogen zu glätten. Und obwohl Cloto noch die Lippen bewegte, gab er keinen Ton mehr von sich. In der jähen Stille fing jemand an, nervös zu kichern, beherrschte sich dann wieder und verstummte.
»Genug jetzt«, sagte der Erzdruide. »Wenn du nicht mehr hinter uns stehst, dann hast du in unserer Gemeinschaft nichts mehr zu suchen. Pack deine Sachen, und mach dich auf zur Anlegestelle. Dort wartet ein Boot auf dich.«
Sprachlos und völlig betreten sahen die anderen zu, wie Cloto davonstapfte. Lugovalos hatte ihn zwar zum Schweigen gebracht, aber selbst der Erzdruide konnte die Worte des Jungen nicht aus den Köpfen der anderen wischen. Was, wenn Cloto recht hatte? Was war besser? Für die eigene Sache zu kämpfen, auch auf die Gefahr hin zu scheitern? Oder sich zu ergeben, um auf der sicheren Seite zu sein? Die Druiden hatten keine Wahl. Doch sollten sie zum Scheitern verdammt sein, dann könnten wenigstens die Barden davon singen, wie tapfer und heldenmütig sie den Kampf gewagt hatten.
Lhiannon kam den Weg herauf, der zum Haus der Hohepriesterin führte. Da sah sie, wie das Tuch beiseitegeschoben wurde, das den Eingang verhängte, und Boudicca heraustrat, eine Holzschüssel im Arm. »Wie geht es ihr?«, rief sie ihr zu.
»Sie hat heute nichts bei sich behalten«, erwiderte Boudicca. »Sie ist völlig abgemagert, Lhiannon! Ich glaube, dass nur noch die Kraft ihres Geistes sie am Leben hält.«
»Sie hat sich schon immer tapfer gehalten«, sagte die Priesterin leise.
»Ich habe König Cunobelin sterben sehen. Er trieb zwischen Schlafen und Wachen, bis er schließlich für immer entschlief. Aber Mearan ist wach. Kannst du nicht etwas für sie tun, Lhiannon?«
»Wenn sie die Aufgüsse nicht bei sich behält, dann nützt es auch nichts, wenn ich ihr Heilmittel verabreiche. Aber ich kann ihr helfen, ihren Geist vom Schmerz des Körpers zu lösen.«
Boudicca nickte und ging, die Schüssel auszuleeren. Lhiannon sog die süße Sommerluft noch einmal tief ein und trat dann ins Haus. Doch als sie die wächserne Blässe von Mearans Haut sah, beschlich sie das sichere Gefühl, dass sie den Kampf verlieren würden.
»Meine Herrin, wie geht es dir? Leidest du Schmerzen?«, fragte sie sanft und kniete sich neben Coventa.
Langsam und angestrengt öffnete Mearan die Augen. »Im Augenblick nicht. Ich fühle mich … leicht …«
Das glaube ich gut und gerne, dachte Lhiannon. Und es schien ihr, als stießen die ausgeprägten Knochen im Gesicht der alten Frau noch spitzer durch die Haut als am Tag zuvor.
»Ich denke, dass ich sehr bald hinübergleiten werde.« Mearan stockte, holte dann wieder Luft. »Es ist nicht mein Wille, dass ich euch verlasse, aber es wird auch sein Gutes haben. Zwischen den Welten kann ich sehen …«
»Du musst nicht sprechen, das strengt dich zu sehr an.« Obwohl Lhiannon es nicht wahrhaben wollte, wusste sie, dass Mearan recht hatte mit dem, was sie sagte. Und es heißt, dass die letzte Vision einer Seherin besonders große Macht hat.
»Du darfst dir nichts vormachen …« Sie hörte Mearans nüchterne Worte. »Ich weiß, dass ich sterben werde.«
Lhiannon rückte ein wenig, um Boudicca Platz zu machen, die mit der gesäuberten Schüssel und einem Krug hereinkam.
»Meine Herrin, ich bringe kaltes Wasser aus der Heiligen Quelle«, sagte sie. »Das wird dir gut tun.« Lhiannon half der kranken Frau, sich aufzurichten, damit sie trinken konnte, und bettete sie dann wieder sanft in die Kissen.
»Danke …« Mearan schloss die Augen. Für einen kurzen Augenblick war ihr angestrengtes Atmen das einzig
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