Avalon 04 - Die Hüterin von Avalon
Norden, immer weiter und weiter, in Richtung der altvertrauten, heimischen Felder. Wenn Prasutagos sie nicht bald fand, wären sie schon auf dem halben Weg nach Hause. Von Zeit zu Zeit setzte sie ihr Pferd in lockeren Trab und lauschte. Doch bis auf das gelegentliche Bellen eines Hundes von einem nahen Hof war es in dieser mondhellen Nacht völlig still.
Die Druiden kannten magische Sprüche, um einen Verfolger in die Irre zu leiten oder eine Spur zu verwischen, aber die hatte sie nie gelernt. Außerdem wollte sie ja, dass Prasutagos sie fand, nur … noch nicht so bald.
Sie durchquerte zwei weitere Flüsse, von denen Letzterer so tief war, dass die Stute ihn durchschwimmen musste. Bis sie das Ufer erreicht hatten, schlotterte Boudicca in der frühmorgendlichen Kälte am ganzen Leib. Zum Glück war es auf dem Rücken des Pferdes wärmer als am Boden, und von den Druiden hatte sie gelernt, körperliches Unwohlsein zu ignorieren. Inzwischen fiel die Stute freiwillig in einen gemächlichen Trab, und sie ritten weiter, bis die aufgehende Herbstsonne Boudiccas Kleider getrocknet hatte.
Als sie schließlich ihr Reittier vom Weg ab und hinein in den Wald lenkte, wo eine Quelle frisches Wasser gab und feuchtes Gras dicht zwischen den Bäumen spross, hatten sie fast zwanzig Meilen zurückgelegt. Sie rieb das dampfende Pferd trocken, band ihm mit ihrem Gürtel die Vorderbeine zusammen, damit es grasen, aber nicht weglaufen konnte, breitete die Satteldecke auf dem Boden aus, wickelte sich in ihren Umhang und legte sich hin, um ein wenig auszuruhen. Wann würde Prasutagos sie endlich finden?
Sie schlief ein, und als sie aufwachte, war es weit nach Mittag, und ihr Magen knurrte. Sie ärgerte sich, beim Hochzeitsschmaus nicht ordentlich zugelangt zu haben. Die Stute hingegen hatte sich am saftigen Gras satt gefressen und konnte es kaum erwarten, wieder loszupreschen.
Die Gegend war sanft wellig, eine Mischung aus Wald- und Heideland, dazwischen versprengte Gehöfte, umgeben von langen, rechteckigen Feldern. Inzwischen war Boudicca nicht mehr darauf bedacht, keine Spuren zu hinterlassen, sondern legte vielmehr welche aus. Dann fasste sie sich ein Herz, hielt an einem der Gehöfte an und tauschte ein paar der prunkvollen Zierbänder aus ihrem Haar gegen ein warmes Essen und eine warme Schlafstatt am Feuer. Eigentlich hatte sie das nicht vorgehabt, denn sie fürchtete sich vor neugierigen Fragen. Doch die Leute hier waren von ganz anderem Schlag, eher wortkarg und zurückhaltend und fragten nicht viel. Aber sie waren herzlich, was Boudicca allerdings vor lauter Müdigkeit erst viel später bemerkte. Sie musste ihnen wohl wie ein armes, verirrtes Wesen aus dem Feenland erschienen sein.
Am folgenden Morgen war vom König noch immer weit und breit nichts zu sehen. Na schön, dachte sie erbittert – dann werde ich wohl zurückreiten und in der königlichen Festung auf ihn warten müssen. Hätte er mich hier draußen gefunden, wäre das romantisch gewesen; so aber muss er die Schmach erleiden, als Versager an den eigenen Hof zurückzukehren.
So machte sie sich auf den Rückweg, im Falz ihres Umhangs Äpfel und Brot für mindestens einen Tag. Sie trieb die rote Stute nicht zur Eile, ließ die Zügel locker und ritt gemächlich dahin. Die Gegend hier war weiter und offener als die um Antedios’ Festung und den vielen Stoppelfeldern nach zu urteilen auch besser entwässert und ertragreicher. Die Ängste, die sie am Hochzeitsabend beklemmt hatten, schienen wie weggeblasen. Vor ihr lag neues, unbekanntes Land, das sie erkunden wollte, nach und nach – so wie sie es auf Mona getan hatte.
Aber natürlich nur, wenn Prasutagos die Heirat nicht wieder aufhob und sie mit Schimpf und Schande zurück zu ihrem Vater schickte. Dieser Gedanke beschäftigte sie so sehr, dass sie fast den ganzen Nachmittag lang Trübsal blies. An diesem Abend fehlte ihr der Mut, auf einem Gehöft um Quartier zu bitten, und so bereitete sie ihr Nachtlager erneut im Wald, spähte durch das Astgewirr auf die helle Sternenstraße am Himmelszelt, die den Weg zu weisen schien.
Am folgenden Morgen weckte sie der Duft gebratener Würste. Einen kurzen Augenblick wähnte sie sich noch in einem Traum, doch schon hörte sie deutlich ein Feuer knistern. Sie runzelte die Stirn, drehte sich um und rieb sich die Augen. Das morgendliche Licht ließ den Rauch wie einen goldenen Schleier erscheinen, durch den sie nur schemenhaft einen Mann erkannte, der neben dem Feuer kniete,
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