Avalon 08 - Die Nebel von Avalon
hinunter, und Morgaine sah die große Gestalt von Taliesin, dem Merlin. Kevin, der Barde, ging schleppenden Schrittes neben ihm. Mehr denn je wirkte er häßlich und grotesk. Er schien so fehl am Platz wie ein Talgklumpen am Rand eines fein getriebenen silbernen Leuchters. An ihrer Seite – Morgaine erstarrte, als sie den schlanken, muskulösen Körper, die goldschimmernden Haare erkannte – war Artus!
Aber sie hatte doch gewußt, daß Excalibur für ihn bestimmt war. Es war nur natürlich, daß er hierherkam, um es zu empfangen.
Er ist ein Krieger, ein König. Mein kleiner Bruder, der auf meinem Schoß saß.
Es kam ihr so unwirklich vor. Doch in diesem Artus, dem ernsten Jungen, der zwischen den beiden Druiden einherschritt, sah sie noch eine Spur des jungen Mannes, der das Geweih des Gehörnten Gottes getragen hatte. So gemessen und feierlich er jetzt auch wirkte, so sah sie doch das schwankende Geweih, den tödlichen, verzweifelten Kampf und dann sein Auftauchen in der Höhle, besudelt mit dem Blut des Königshirsches – kein Kind mehr, sondern ein Mann, ein Krieger, ein König.
Der Merlin flüsterte Artus etwas zu, und er beugte ehrfürchtig das Knie vor der Herrin vom See.
Natürlich,
dachte Morgaine,
er hat Viviane noch nie gesehen… nur mich, und das im Dunkeln.
Aber dann sah er sie. Morgaine bemerkte es an seinem Gesichtsausdruck, wie er sie wiedererkannte. Er verbeugte sich auch vor ihr –
zumindest,
dachte sie überflüssigerweise,
hat man ihm dort, wo er erzogen wurde, beigebracht, sich wie der Sohn eines Königs zu benehmen –
und murmelte: »Morgaine.«
Die Schwester neigte den Kopf. Er hatte sie selbst durch den Schleier erkannt. Vielleicht sollte sie vor dem König niederknien? Aber eine Herrin von Avalon beugte das Knie vor keiner irdischen Macht. Der Merlin würde knien und auch Kevin, wenn man es forderte. Viviane niemals. Sie war nicht nur die Priesterin der Göttin, sondern verkörperte die Göttin in sich auf eine Weise, welche die Priester der männlichen Gottheiten nie kennen oder verstehen. Und so würde auch Morgaine nie wieder das Knie beugen.
Die Herrin vom See streckte die Hand aus und bat Uthers Sohn, sich zu erheben. »Ihr habt eine lange Reise hinter Euch. Und Ihr seid sicher müde. Morgaine, bringe ihn in mein Haus und gib ihm Speise und Trank, ehe wir beginnen.«
Artus lächelte – nicht wie ein Mann, der zum König gemacht wird, nicht wie ein Auserwählter, sondern nur wie ein hungriger Junge. »Ich danke Euch, Herrin.«
In Vivianes Haus bedankte er sich bei den Priesterinnen, die ihm zu essen brachten, und aß mit großem Vergnügen. Nach einer Weile fragte er Morgaine: »Lebst du auch hier?«
»Die Herrin wohnt allein in diesem Haus. Aber sie hat Priesterinnen um sich, die sich in ihrem Dienst abwechseln. Ich habe hier gewohnt, als ich an der Reihe war.«
»Du, die Tochter eines Königs… du
bedienst
jemanden?«
Morgaine antwortete streng: »Wir müssen dienen, ehe wir befehlen! Auch sie diente in ihrer Jugend, und ich diene in ihr der Göttin.«
Er dachte nach. »Ich kenne die Große Göttin nicht«, sagte er endlich. »Der Merlin erzählte mir, daß die Herrin deine… unsere Verwandte ist.«
»Sie ist eine Schwester von Igraine, unserer Mutter.«
»Oh, dann ist sie meine Tante«, sagte Artus und versuchte das Wort auf seiner Zunge, als sei es ihm ungewohnt und ein neuer Geschmack. »Das ist alles so neu für mich. Ich habe immer versucht, in Ectorius meinen Vater und in Flavilla meine Mutter zu sehen. Ich wußte natürlich, daß es ein Geheimnis gab. Und weil Ectorius sich weigerte, mit mir darüber zu sprechen, hielt ich es für etwas Schmachvolles. Ich glaubte, ich sei ein Bastard oder etwas noch Schlimmeres. Ich kann mich an Uther, meinen Vater, überhaupt nicht erinnern… auch nicht an meine Mutter. Obwohl, wenn Flavilla mich bestrafte, träumte ich manchmal von einem anderen Leben … von einer Frau, die mich liebkoste und dann beiseite schob… ist Igraine, unsere Mutter, so wie du?«
»Nein, sie ist groß und hat rote Haare«, erwiderte Morgaine.
Artus seufzte. »Dann erinnere ich mich wohl überhaupt nicht an sie. Denn in meinen Träumen war es jemand wie du…
du
warst es…«
Er schwieg. Seine Stimme hatte bei den letzten Worten gezittert.
Ein gefährliches Gespräch,
dachte Morgaine,
das dürfen wir nicht weiterführen,
und sagte ruhig: »Nimm noch einen der Äpfel. Sie wachsen hier auf der Insel.«
»Danke«, er nahm sich einen Apfel und biß
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