Avalon 08 - Die Nebel von Avalon
und dunkel – durch und durch Römer. Und als er mit natürlicher Ehrerbietung und Zuneigung zu Artus sprach, wußte sie, daß Artus tatsächlich zwei starke Männer besaß, um sein Heer zu führen. Die anderen Ritter waren Bedwyr, Lucan und Balin – bei diesem Namen blickten Morgaine und auch der Merlin überrascht auf: Es war der Ziehbruder von Vivianes älterem Sohn Balan. Balin war blond und hatte breite Schultern. Er trug zerschlissene Kleidung, bewegte sich aber so anmutig wie Lancelot. Seine Waffen und die Rüstung schimmerten blank, und man sah auf ihnen die Spuren großer Kämpfe. Morgaine war es zufrieden, Artus seinen Rittern zu überlassen. Doch ehe sie ging, hob der Bruder feierlich ihre Hand an seine Lippen und küßte sie.
»Kommt zu meiner Krönung, wenn Ihr könnt, meine Schwester«, sagte er.
W enige Tage später machte sich Morgaine in Begleitung einiger weniger Bewohner von Avalon auf den Weg zu Artus' Krönung. In all den Jahren hatte sie keinen Fuß auf die Insel der Mönche gesetzt – mit Ausnahme der wenigen Augenblicke, als sie die Nebel öffnete, damit Gwenhwyfar ihr Kloster wiederfand. Ynis Witrin, die Gläserne Insel… hier schien die Sonne seltsam grell zu sein… nicht so weich und verschleiert wie in Avalon. Sie mußte sich erst ins Gedächtnis rufen, daß für fast alle Menschen in Britannien
dies
die wirkliche Welt war und das Land von Avalon nur ein verzauberter Traum… so entrückt wie das Reich der Feen. Für Morgaine aber war Avalon wirklich und Ynis Witrin ein garstiger Traum, aus dem sie nicht zu erwachen schien. Auf dem freien Platz vor der Kirche waren bunte Rundzelte und Pavillons wie merkwürdige Pilze aus dem Boden geschossen. Morgaine kam es vor, als läuteten die Glocken Tag und Nacht, Stunde um Stunde… ein mißtönendes Klingen, das ihr auf die Nerven ging. Artus begrüßte sie. Sie sah zum ersten Mal Ectorius – den guten Ritter und Kämpen, der ihren Bruder großgezogen hatte – und auch seine Frau Flavilla. Für ihre Reise in die äußere Welt hatte Morgaine auf Vivianes Rat die blauen Gewänder und die gescheckte Hirschledertunika einer Priesterin von Avalon beiseite gelegt. Sie trug ein einfaches Kleid aus schwarzer Wolle, ein weißes leinenes Untergewand und über dem geflochtenen Haar einen weißen Schleier. Sie merkte bald, daß sie wie eine Matrone wirkte, denn die britischen Frauen und jungen Mädchen hatten die Haare offen und trugen Kleider in leuchtenden Farben. Man hielt sie allgemein für eine der Frauen aus dem Kloster von Ynis Witrin; die Nonnen dort trugen solch düstere Gewandung. Morgaine unternahm nichts, sie über den Irrtum aufzuklären. Artus zog die Augenbrauen hoch und lächelte vielsagend, sagte aber ebenfalls nichts. Er wendete sich an Flavilla: »Liebe Ziehmutter, so vieles muß getan werden… die Priester wollen mit mir über meine Seele sprechen, und der König von Orkney und der König von Wales haben um eine Audienz gebeten… seid so freundlich und bringt meine Schwester zu unserer Mutter.«
Zu unserer Mutter,
dachte Morgaine,
doch diese Mutter ist uns beiden eine Fremde geworden.
Sie suchte in sich nach einer Freude, die dieses Zusammentreffen mit sich bringen konnte, fand aber keine.
Igraine hatte sich damit abgefunden, daß ihre beiden Kinder – das Kind aus ihrer ersten, freudlosen Ehe und das Kind der Liebe ihrer zweiten Ehe – weggegeben wurden. Was für eine Frau mußte sie sein! Morgaine stellte fest, daß sie sich mit Kopf und Herz gegen Igraines Anblick sträubte.
Ich erinnere mich nicht einmal an ihr Gesicht,
dachte sie.
Doch als sie Igraine gegenüberstand, wußte sie, daß sie Igraine unter allen Menschen erkennen würde.
»Morgaine!« Sie hatte Igraines warme und klangvolle Stimme vergessen oder erinnerte sich nur noch im Traum daran. »Mein Liebes, mein Kind! Oh, du bist eine Frau geworden, in meinem Herzen jedoch immer noch das kleine Mädchen… und wie müde und nachtgeplagt du aussiehst… haben dich die Zeremonien so sehr bedrückt, Morgaine?«
Morgaine küßte ihre Mutter und mußte die Tränen zurückhalten. Igraine war eine schöne Frau, und sie? Wieder stiegen die halbvergessenen Worte in ihr auf:
Sie ist klein und häßlich wie eine Fee…
Hielt Igraine sie auch für unansehnlich?
»Was ist denn das?« Igraines zarte Hand berührte die Mondsichel auf ihrer Stirn. »Du bist bemalt wie eine Feenfrau… schickt sich das, Morgaine?«
Morgaine antwortete steif: »Ich bin eine Priesterin von
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