Avalon 08 - Die Nebel von Avalon
Schenkeln sitzen!
Natürlich wußte sie, daß dies nur die tröstende Rede einer trauernden Mutter war, und doch entsetzte sie die Gotteslästerung. Morgaine fiel ein, daß Morgause ihr eine Frage gestellt hatte und schüttelte den Kopf: »Nein, ich habe keine Kinder, Morgause… ich hatte bis zum Beltanefest in diesem Jahr meine Jungfräulichkeit der Göttin geweiht.«
Sie brach ab. Mehr durfte sie nicht sagen. Igraine war eine gläubigere Christin, als Morgaine sich vorgestellt hatte. Der Gedanke an das Ritual, in dem sie für ihren Bruder die Göttin verkörperte, hätte die Mutter bestimmt mit Entsetzen erfüllt.
Plötzlich erfaßte Morgaine ein zweiter Schrecken – schlimmer als der erste –, und ihm folgte eine Woge der Übelkeit. Es war bei Vollmond geschehen… der Mond hatte dann abgenommen, zugenommen und wieder abgenommen; trotzdem hatte sich ihr Neumondbluten nicht eingestellt – es gab nicht einmal Anzeichen dafür! Sie war zunächst erleichtert gewesen, daß ihr diese Last bei der Krönung erspart bleiben würde und hielt es für eine Wirkung der Großen Magie. Bis zu diesem Augenblick war ihr keine andere Erklärung in den Sinn gekommen.
Ein Ritual der Erneuerung und Fruchtbarkeit der Ernte, des Landes und der Leiber der Frauen der Stämme…
Sie hatte es gewußt. Und doch glaubte Morgaine in ihrer Blindheit und ihrem Stolz, daß die Mittlerin der Göttin vom eigentlichen Zweck des Rituals vielleicht ausgenommen sein würde, obwohl sie andere junge Priesterinnen gesehen hatte, die nach dem Ritual blaß und krank wurden, ehe sie mit der heranreifenden Frucht in ihrem Leib wieder aufblühten. Sie hatte erlebt, wie die Kinder geboren wurden, manche waren sogar mit Hilfe ihrer eigenen geübten Hände zur Welt gekommen. Aber in ihrer Verblendung war ihr nicht einmal der Gedanke gekommen, daß nach dem Ritual auch ihr Leib schwellen könnte.
Morgaine bemerkte, wie Morgause sie scharf musterte; deshalb holte sie tief Luft und gähnte, um das lange Schweigen zu überbrücken: »Ich bin seit Tagesanbruch unterwegs«, erklärte sie, »habe noch nichts gegessen und bin hungrig.«
Igraine entschuldigte sich und hieß ihre Frauen Brot und Gerstenbier auftischen. Morgaine zwang sich, etwas zu essen, obwohl ihr dabei leicht übel wurde. Und sie wußte, warum.
Göttin! Mutter Göttin! Viviane wußte, daß es geschehen konnte. Aber sie hat mich nicht geschont!
Morgaine wußte, was zu tun war, aber sie mußte noch drei Tage bis nach Artus' Krönung warten. Hier fand sie die nötigen Wurzeln und Kräuter nicht, die in Avalon wuchsen. Außerdem wagte sie nicht, hier krank zu werden. Ihr graute vor dem unheilvollen Trank und vor der Schwäche, die darauf folgte. Aber es mußte getan werden, ohne Zögern, oder sie würde zur Wintersonnenwende dem Sohn ihrer eigenen Mutter einen Sohn gebären. Vor allem durfte Igraine nichts davon erfahren – die Vorstellung würde ihr als unfaßbare Sünde erscheinen. Morgaine zwang sich wieder zu essen und redete über Unbedeutendes, wie Frauen bei Hofe es tun.
Aber ihre Gedanken kamen nicht zur Ruhe… »Ja, das feine Leinen, das ich trage, stammt aus Avalon… feineres Leinen gibt es auf der ganzen Welt nicht… vielleicht liegt es daran, daß der Flachs am See längere, stärkere und hellere Fasern hat…«
Insgeheim aber dachte sie:
Artus darf es nie erfahren! Die Krönung lastet schwer genug auf ihm. Wenn ich diese Bürde tragen und Schweigen bewahren kann, um sein Herz nicht zu beschweren, dann will ich es tun.
»… Ja, ich habe gelernt, die Harfe zu spielen…« Wie einfältig von ihrer Mutter, zu glauben, es sei nicht richtig für eine Frau, Musik zu machen. Selbst wenn in einem der Evangelien stand, die Frauen sollten in der Kirche schweigen, war der Gedanke unglaublich, die Stimme einer Frau, die Gottes Lob besang, könne seine Ohren beleidigen. Hatte nicht des Jesus eigene Mutter die Stimme erhoben, um sein Lob zu singen, als sie wußte, daß sie sein und des Heiligen Geistes Kind trug? Morgaine griff nach der Harfe und sang für ihre Mutter, und unter dem Lied lag tiefe Verzweiflung.
Sie wußte so gut wie Viviane, daß sie die nächste Herrin von Avalon sein würde, und sie schuldete der Göttin zumindest eine Tochter. Es war nicht recht, ein Kind abzustoßen, daß bei der Großen Ehe empfangen worden war. Aber was konnte sie sonst tun? Die Mutter des Christengottes hatte Gott für das Kind gepriesen, das er ihr schenkte. Morgaine konnte nur in schweigender
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