Avalon 08 - Die Nebel von Avalon
erfuhr… Aber selbst mir fürchtete ich einzugestehen, daß ich Angst vor dem geheimen Weg hatte. Vielleicht würden mich meine Schritte nicht zum Festland führen, sondern in jenes unbekannte Reich, in dem seltsame Pflanzen und Bäume wuchsen, die noch kein Mensch berührt hatte, wo die Sonne nie schien und die spöttischen Augen der Fee bis auf den Grund meiner Seele geblickt hatten. In einem kleinen Beutel an meiner Hüfte trug ich immer noch die Kräuter. Aber als das Boot lautlos in die Nebel eintauchte, band ich den Beutel los und ließ ihn ins Wasser fallen. Unter der Wasseroberfläche leuchtete etwas wie ein Schatten… schimmerndes Gold, vielleicht waren es auch Edelsteine. Ich wandte den Blick ab, da ich wußte, die Ruderer warteten darauf, daß ich die Nebel rief. Avalon lag hinter mir; ich hatte es aufgegeben, ohne noch einen Blick auf den Berg oder die Ringsteine zu werfen. Ich wollte nicht Vivianes Werkzeug sein und meinem Bruder einen Sohn schenken, weil die Herrin vom See ein geheimes Ziel verfolgte. Ich zweifelte nicht daran, daß es ein Sohn sein würde. Hätte ich geglaubt, ich bekäme eine Tochter, wäre ich in Avalon geblieben und hätte der Göttin die Tochter geschenkt, die ich ihrem Heiligtum schuldete. In all den Jahren habe ich immer bedauert, daß die Göttin mir einen Sohn und keine Tochter schickte – eine Tochter, um in Tempel und Hain zu dienen.
Ich sprach die magischen Worte zum letzten Mal, wie ich damals glaubte. Die Nebel senkten sich, und wir gelangten an das andere Ufer des Sees. Ich glaubte, aus einem langen Traum zu erwachen. Als ich Avalon zum ersten Mal erblickt hatte, fragte ich: »Ist es wirklich?«, und ich erinnerte mich daran, daß Viviane geantwortet hatte: »Es ist wirklicher als jeder andere Ort.« Aber jetzt war es für mich nicht länger wirklich. Ich sah das trostlos graue Schilfgras und dachte: Nur das ist wirklich. Die Jahre in Avalon sind nicht mehr als ein Traum, der verblaßt und verschwindet, wenn man erwacht. Es regnete; kalte, dicke Tropfen fielen auf das Wasser. Ich zog die Kapuze meines dicken Umhangs über den Kopf und betrat die wirkliche Küste. Einen Augenblick lang beobachtete ich das Boot, das wieder in den Nebeln verschwand. Dann wandte ich mich entschlossen ab. Ich wußte genau, wohin ich gehen würde… nicht nach Cornwall, obwohl ich mich aus tiefstem Herzen nach dem Land meiner Kindheit sehnte; nach den langen, kräftigen Felsarmen, die sich in
das dunkel brodelnde Meer reckten, nach den tiefen und schattigen Tälern zwischen den Klippen und nach der geliebten und halbvergessenen Küste von Tintagel.
Igraine hätte mich mit Freuden dort aufgenommen; aber sie lebte zufrieden hinter Klostermauern. Und ich hielt es für besser, daß ihr Friede nicht gestört wurde. Ich dachte auch nie daran, zu Artus zu gehen, obwohl ich nicht daran zweifelte, daß er mich getröstet und mir Schutz geboten hätte.
Wir hatten den Willen der Göttin erfüllt. Ich spürte wieder etwas von dem Bedauern, das wir beide an jenem Morgen empfunden hatten. Der Brauch verlangte, daß wir uns als Göttin und Gott vereinigten. Was dann aber bei Sonnenaufgang geschehen war, hatten wir zu unserem eigenen Genuß getan. Aber auch das geschah, wie die Göttin es wollte. Nur Menschen haben die Vorstellung von Blutsbanden und Verwandtschaft; die Tiere wissen nichts davon, und schließlich sind Männer und Frauen wie Tiere. Aber Artus, der als Christenmensch erzogen worden war, durfte nie erfahren, daß er mit seiner Schwester einen Sohn gezeugt hatte – für ihn eine Todsünde. Die Christenpriester bedeuteten mir nichts. Das Kind in meinem Leib – und daran glaubte ich – hatte keinen sterblichen Vater. Es war mir vom Hirschkönig, vom Gehörnten als das rechtmäßige erste Kind einer geweihten Priesterin gegeben worden.
Und ich lenkte meine Schritte nach Norden. Ich fürchtete die lange Reise durch Hochland und Sümpfe nicht, die mich schließlich in das Königreich von Orkney und zu meiner Tante Morgause führen würde.
Zweites Buch
Die Königin
1
Lots Reich lag hoch im Norden. Schnee bedeckte die Berge, und selbst um die Mittagszeit herrschte oft nur nebliges Zwielicht. An den wenigen sonnigen Tagen konnten die Männer auf die Jagd gehen; die Frauen waren den ganzen Winter über in der Burg eingeschlossen. Morgause drehte müßig die Spindel. Sie haßte das Spinnen noch ebensosehr wie in ihrer Jugend, aber für eine andere Arbeit war es in der Kammer zu dunkel. Die
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