Avalon 08 - Die Nebel von Avalon
niederlegen. Es ist niemand da, der es mir abnehmen kann. Keine der Jungfrauen ist auf dem Alten Weg Priesterin geworden. Keine ist weit genug gekommen… nur du. Wenn Morgaine nicht zurückkehrt, mußt du Herrin vom See werden. Du hast dich dem Schweigen verschworen und hast deinen Eid treu gehalten. Nun ist es Zeit, ihn zu lösen und aus meinen Händen die Führung zu übernehmen… es gibt keinen anderen Weg.«
Raven schüttelte den Kopf. Sie war eine große zarte Frau und, wie Viviane dachte, nicht mehr jung. Sicher war sie zehn Jahre älter als Morgaine – sie mußte bald vierzig sein.
Und sie kam als kleines Mädchen hierher, ihre Brüste waren noch nicht einmal Knospen.
Raven hatte lange, dunkle Haare, ein dunkles, blasses Gesicht, tiefliegende Augen unter dicken Brauen. Sie wirkte abgehärmt und streng.
Viviane bedeckte das Gesicht mit den Händen und sagte mit belegter Stimme durch die Tränen, die sie nicht weinen konnte: »Ich… kann nicht mehr, Raven.«
Plötzlich spürte sie eine sanfte Berührung an ihrer Wange. Raven stand vor ihr und beugte sich über sie. Sie sprach nicht, sondern umarmte Viviane und hielt sie einen Augenblick lang an sich gedrückt. Die Herrin vom See empfand die Wärme der jüngeren Frau, begann zu schluchzen und wußte, daß sie weinen und nicht den Willen aufbringen würde, je wieder aufzuhören. Und als Viviane vor Erschöpfung wieder still wurde, küßte Raven sie auf die Wange und ging schweigend aus dem Haus.
8
Igraine hatte einmal zu Gwenhwyfar gesagt, Cornwall liege am Ende der Welt. So kam es Gwenhwyfar auch vor – hier konnte man vergessen, daß es räuberische Sachsen gab, einen Großkönig oder eine Königin. In diesem fernen Kloster waren sie und Igraine nichts weiter als zwei christliche Damen… obwohl man an einem klaren Tag aufs Meer hinausblicken und die mächtigen Umrisse von Tintagel sehen konnte. Zu ihrer eigenen Überraschung dachte Gwenhwyfar:
Ich bin froh, daß ich gekommen bin.
Und doch hatte sie sich gefürchtet, die schützenden Mauern von Caerleon zu verlassen, als Artus sie darum bat. Die Reise erschien ihr als ein einziger langer Alptraum – selbst der Ritt auf der schnellen und bequemen Straße nach Süden. Nachdem sie die gepflasterte Straße verlassen hatten und durch die hohe windige Heide zogen, verkroch sich Gwenhwyfar in panischer Angst in ihrer Sänfte – sie wußte kaum, was sie mehr erschreckte, der hohe, offene Himmel oder die unendlichen baumlosen Grasflächen, aus denen nackte und kalte Felsen hervorragten wie die Knochen der Erde. Dann sah man eine Zeitlang kein Lebewesen außer den Raben, die hoch oben ihre Kreise zogen und darauf warteten, daß dort unten etwas verendete. Hin und wieder tauchte in der Ferne eines der wilden, kleinen Pferde auf und warf den Kopf mit der zotteligen Mähne zurück, ehe es davongaloppierte.
Aber hier in diesem fernen Kloster in Cornwall war alles still und friedlich. Eine wohlklingende Glocke schlug die Stunden. In dem ummauerten Garten wuchsen Rosen und rankten sich über zerfallene Backsteinmauern. Das Gebäude war einst ein römisches Landhaus gewesen. Die Nonnen hatten den Fußboden in einer Halle entfernt, weil – wie sie sagten – dort unzüchtige, heidnische Bilder zu sehen waren. Gwenhwyfar hätte gerne gewußt, was… aber niemand sagte es ihr, und sie genierte sich, danach zu fragen. An den Rändern des Bodens tummelten sich hübsche kleine Delphine und merkwürdige Fische, die aus kleinen Steinchen zusammengesetzt waren. Die Mitte hatte man durch gewöhnliche Ziegelsteine ersetzt. Manchmal saß sie dort nachmittags mit den Schwestern und arbeitete an ihren Stickereien, während Igraine ruhte.
Igraine lag im Sterben. Die Nachricht hatte Caerleon vor zwei Monaten erreicht. Artus mußte in den Norden ziehen, nach Eboracum, um die Wiederbefestigung des ehemals römischen Walls zu überwachen, und konnte deshalb nicht selbst zu seiner Mutter reisen. Morgaine war ebenfalls nicht am Hof. Man konnte auch nicht erwarten, daß Viviane in ihrem Alter die lange Reise unternehmen würde. Deshalb hatte Artus Gwenhwyfar gebeten, seine Mutter aufzusuchen. Nach langem guten Zureden hatte die Königin eingewilligt. Gwenhwyfar wußte wenig über Krankenpflege. Woran Igraine auch leiden mochte, sie hatte zumindest keine Schmerzen – aber sie geriet leicht in Atemnot und konnte nicht weit gehen, ohne zu husten und zu keuchen. Die Nonne, die Igraine versorgte, sagte, es sei eine Erkrankung der Lunge.
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