Avalon 08 - Die Nebel von Avalon
überlegte, ob es bedeutete, daß Raven die Macht der Herrin vom See übernehmen sollte, da Morgaine sie verlassen hatte. Die Worte des Mädchens schienen keine andere Deutung zuzulassen. Trotzdem… vielleicht bedeuteten sie auch… nichts.
Was ich auch tue, ich stehe im Dunkeln .. . ich wäre besser zu Raven gegangen, die mir nur mit Schweigen geantwortet hätte.
Aber wenn Morgaine wirklich in den Armen des Todes lag oder für Avalon verloren war, gab es keine Priesterin, welche die Bürde der Macht auf sich nehmen konnte. Raven hatte ihre Stimme der Göttin geweiht… sollte der Tempel der Göttin verwaisen, weil Raven den Weg des Schweigens gewählt hatte?
Viviane blieb stumm in ihrer Kammer sitzen, starrte an die Wände und bewegte Ninianes rätselhafte Worte wieder und wieder in ihrem Herzen. Einmal stand sie auf und ging allein den stillen Pfad hinan. Noch einmal blickte sie auf das stille Wasser. Aber es blieb grau, so grau wie der unbewegte Himmel. Plötzlich schien sich tatsächlich etwas zu bewegen. Viviane flüsterte: »Morgaine?«, und blickte angestrengt in den stummen Teich. Aber das Gesicht, das dort auftauchte war nicht Morgaines Gesicht – es war reglos und unbewegt wie die Göttin selbst und bekränzt mit nackten Weidenruten…
Sehe ich mein eigenes Spiegelbild oder die Todesbotin…?
Erschöpft wendete Viviane sich schließlich ab.
Ich wußte es, seit ich das erste Mal diesen Weg gegangen bin… es kommt eine Zeit, in der es nur Verzweiflung gibt, wenn man versucht, den Schleier über dem Schrein zu lüften. Wenn man nach der Göttin ruft und weiß, daß sie nicht antworten wird, weil sie nicht da ist… denn sie war nie da. Es gibt keine Göttin, sondern nur dich selbst. Du stehst allein vor einem leeren Schrein und hörst nur das höhnische Echo deiner eigenen Worte… Niemand ist da. Es war nie jemand da. Und das Gesicht waren nur Träume und Trugbilder…
Während Viviane mit müden Schritten den Hügel hinabging, sah sie, daß der neue Mond am Himmel stand. Aber jetzt bedeutete er nichts anderes, als daß rituelles Schweigen und gelobte Abgeschiedenheit wieder einmal zu Ende waren.
Was habe ich eigentlich mit dieser Göttin zu tun? Sie ist nur ein Truggebilde. Das Geschick von Avalon liegt in meinen Händen. Morgaine ist gegangen, und ich bin allein mit alten Frauen, Kindern und halb ausgebildeten Mädchen… allein, ganz allein! Ich bin alt und müde… der Tod wartet auf mich…
In ihrem Haus hatten die Frauen ein Feuer entzündet. Neben ihrem Stuhl dampfte ein Becher heißen Weins, mit dem sie ihre Neumond fast beendete. Müde sank Viviane nieder. Sofort kam eine der Priesterinnen lautlos herbeigeeilt, zog ihr die Schuhe aus und legte ihr ein warmes Schultertuch um.
Da ist niemand außer mir. Aber ich habe immer noch meine Töchter. Ich bin nicht völlig allein.
»Danke, meine Kinder«, sagte Viviane mit ungewohnter Wärme. Eine Priesterin neigte scheu und schweigend den Kopf. Viviane kannte ihren Namen nicht –
warum bin ich nur so nachlässig? –,
aber sie vermutete, die Priesterin stand unter einem Schweigegelübde. Die zweite antwortete leise: »Es ist uns eine Ehre, Euch dienen zu dürfen, Mutter. Wollt Ihr jetzt ruhen?«
»Noch nicht«, erwiderte Viviane, und einer plötzlichen Eingebung folgend, fügte sie hinzu: »Gehe und bitte Raven zu mir.« Es schien lange zu dauern, ehe die Priesterin lautlos den Raum betrat. Viviane begrüßte sie mit einem leichten Neigen des Kopfs. Raven verbeugte sich, folgte dann Vivianes Hand und setzte sich auf den Stuhl ihr gegenüber. Viviane reichte ihr den immer noch halbvollen Becher mit dem heißen Wein. Raven trank einen kleinen Schluck, dankte ihr mit einem Lächeln und stellte ihn auf den Tisch.
Schließlich sagte Viviane beinahe flehend: »Meine Tochter, du hast dein Schweigen einmal gebrochen, ehe Morgaine uns verließ. Nun suche ich sie und finde sie nicht. Sie ist weder in Caerleon noch in Tintagel, auch nicht bei Lot und Morgause in Lothian… und ich werde alt. Es ist niemand da, der den Dienst versehen kann… Ich bitte dich, wie ich das Orakel der Göttin befragen würde, antworte: Wird Morgaine zurückkehren?«
Raven blieb stumm. Nach einer Weile schüttelte sie den Kopf, und Viviane fragte: »Heißt das, Morgaine wird nicht zurückkehren… oder bedeutet es, daß du es nicht weißt?« Die jüngere Priesterin machte eine seltsame, fragende Geste der Hilflosigkeit. »Raven«, sagte Viviane, »du weißt, ich muß mein Amt
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