Avalon 08 - Die Nebel von Avalon
»Ich bin sicher, sie würde kommen, wenn sie es wüßte, liebe Mutter.«
»Da bin ich mir nicht sicher… ich habe sie weggeschickt und in Vivianes Hände gegeben, obwohl ich gut wußte, wie rücksichtslos Viviane sein kann. Ich wußte, daß sie Morgaine für das Wohl des Landes und für ihre Liebe zur Macht ebenso unnachsichtig benutzen würde wie mich«, flüsterte Igraine. »Ich habe sie weggeschickt, denn ich hielt es für besser. Wenn es um die Wahl zwischen zwei Übeln ging, sollte sie lieber in Avalon und in den Händen der Göttin sein, als in die Hände der Schwarzgewandeten fallen, von denen sie nur lernen würde, sich für sündhaft zu halten, weil sie eine Frau ist.«
Gwenhwyfar erschrak zutiefst. Sie bearbeitete die eiskalten Hände Igraines und erneuerte die heißen Ziegelsteine am Fußende des Bettes; aber auch die Füße waren kalt wie Eis. Als Gwenhwyfar sie heftig massierte, spürte Igraine es nicht. Sie mußte es noch einmal versuchen. »Jetzt, liebe Mutter, wo Euer Ende nahe ist, möchtet Ihr nicht doch mit einem Priester Christi sprechen?«
»Nein, ich habe es dir schon einmal gesagt! Denn sonst könnte es sein, daß ich nach all den Jahren, in denen ich um des lieben Friedens willen in meinem Haus geschwiegen habe, endlich sage, was ich wirklich über sie denke… ich liebte Morgaine genug, um sie zu Viviane zu schicken, damit wenigstens sie ihnen entging…« Igraine keuchte schwer. »Artus«, sagte sie schließlich, »war nie mein Sohn. Er war Uthers Sohn… nur die Hoffnung auf den Nachfolger… nicht mehr. Ich liebte Uther, und ich schenkte ihm Söhne, weil es ihm soviel bedeutete, einen Sohn zu haben, der ihm auf dem Thron folgen konnte. Unseren zweiten Sohn… er starb bald, nachdem die Nabelschnur durchtrennt war… ich glaube, unseren zweiten Sohn hätte ich als mein Kind lieben können, wie ich Morgaine liebte… Sag mir, Gwenhwyfar, hat Artus dir Vorwürfe gemacht, weil du ihm noch keinen Erben geboren hast?«
Gwenhwyfar senkte den Kopf und spürte brennende Tränen in den Augen. »Nein, er ist so gut zu mir gewesen… nie hat er mir einen Vorwurf gemacht. Einmal hat mir mein Gemahl erzählt, er habe auch mit keiner anderen Frau einen Sohn gezeugt, obwohl er mit vielen zusammenlag. Deshalb glaubt er, die Schuld liegt vielleicht nicht bei mir.«
»Wenn er dich um deiner selbst willen liebt, ist er ein kostbares Juwel unter den Männern«, erwiderte Igraine, »und es ist um so schöner, wenn du ihn glücklich machen kannst… Ich liebte Morgaine, denn sie war alles, was ich lieben konnte. Ich war jung und unglücklich. Du kannst dir nicht vorstellen, wie unglücklich ich in diesem Winter war, als ich sie bekam – allein, weit von zu Hause entfernt und noch nicht erwachsen. Ich fürchtete, sie würde durch all den Haß, den ich empfand, während ich sie trug, ein Ungeheuer werden. Aber sie war ein allerliebstes kleines Mädchen, ernst und klug, wie ein Feenkind. Ich habe nur sie und Uther geliebt… Wo ist sie nur, Gwenhwyfar? Wo kann sie sein, daß sie nicht zu ihrer sterbenden Mutter kommt?«
Gwenhwyfar erwiderte teilnahmsvoll: »Sie weiß sicher nicht, daß Ihr krank seid…«
»Aber das Gesicht!« schluchzte Igraine und warf sich unruhig in den Kissen hin und her. »Wo kann sie nur sein, sie muß doch sehen, daß ich sterbe. Oh, ich habe wohl gesehen, daß es ihr schlechtging, selbst an Artus' Krönung. Aber ich sagte nichts. Ich wollte nichts wissen. Ich glaubte, ich hätte genug Leid zu erdulden und schwieg, als sie mich gebraucht hätte… Gwenhwyfar, sag mir die Wahrheit! Hat Morgaine irgendwo allein in der Fremde ein Kind bekommen? Hat sie mit dir darüber gesprochen? Haßt sie mich und kommt deshalb nicht zu mir, wenn ich im Sterben liege… nur weil ich meine Ängste um sie bei Artus' Krönung nicht ausgesprochen habe? O Göttin… Ich habe dem Gesicht abgeschworen, um Frieden in meinem Haus zu haben, denn Uther war ein Getaufter in Christi… Zeige mir, wo meine Tochter, wo mein Kind lebt…«
Gwenhwyfar umarmte sie und sagte: »Ihr müßt jetzt ruhig sein, Mutter… es muß geschehen, wie Gott es will. Es liegt in
seiner
Hand. Ihr könnt hier im Kloster nicht die Göttin des Bösen anrufen …«
Igraine richtete sich auf. Trotz des geschwollenen Gesichts und der blauen Lippen blickte sie die jüngere Frau so hoheitsvoll an, daß Gwenhwyfar sich plötzlich erinnerte:
Auch sie ist Königin über dieses Land.
»Du weißt nicht, was du redest«, sagte Igraine mit
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