Avalon 08 - Die Nebel von Avalon
einer Mischung aus Stolz, Mitleid und Verachtung. »Die Große Mutter steht über allen Göttern. Religionen mögen kommen und gehen, wie auch die Römer feststellen mußten, und die Christen zweifellos feststellen werden, aber sie ist das Eine, das besteht.« Sie ließ sich mit Gwenhwyfars Hilfe in die Kissen zurücksinken und stöhnte: »Ich wollte, meine Füße würden warm werden… Ja, ich weiß, du hast mir heiße Steine ans Fußende gelegt, aber ich spüre sie nicht. In einem alten Buch, das Taliesin mir gab, las ich einmal die Geschichte eines Weisen, den man zwang, den Schierling zu trinken. Taliesin sagt, die Menschen haben die Wissenden schon immer verfolgt und getötet. So wie die Menschen im fernen Süden Christus ans Kreuz schlugen, so zwang man diesen weisen und heiligen Mann, den Schierlingsbecher zu trinken, weil das gemeine Volk und die Könige behaupteten, er habe Verderbliches gelehrt. Als er starb, sagte er, die Kälte steige von seinen Füßen ans Herz… und so starb er. Ich habe keinen Schierling getrunken, aber mir kommt es vor, als hätte ich es getan… Und jetzt umgreift die Kälte mein Herz…« Ein Schauer durchlief Igraine, und sie lag ruhig. Gwenhwyfar dachte einen Augenblick lang, König Artus' Mutter hätte aufgehört zu atmen. Nein, das Herz schlug noch schwach; aber Igraine sprach nicht mehr. Keuchend lag sie in den Kissen, und kurz vor dem Morgengrauen verstummte sie für immer.
9
Igraine wurde nach einem langen feierlichen Trauergottesdienst mittags bestattet. Gwenhwyfar stand am Grab, und ihr flossen die Tränen über das Gesicht, als der verhüllte Leichnam in die Erde gesenkt wurde. Doch sie konnte nicht aufrichtig um ihre Schwiegermutter trauern.
Ihr ganzes Leben hier war eine Lüge gewesen. Sie war keine wahre Christin.
Wenn es stimmte, was man sagte, dann war Igraine jetzt schon in der Hölle. Und diesen Gedanken konnte sie nicht ertragen – nicht, wenn sie an all das Gute dachte, das sie ihr erwiesen hatte.
Ihre Augen brannten vor Übermüdung und Tränen. Die tiefhängenden Wolken waren wie ein Echo ihrer unbestimmbaren dunklen Angst; es konnte jeden Augenblick regnen. Hier, hinter den Klostermauern war sie sicher. Aber sie mußte diesen Ort bald wieder verlassen und tagelang durch die Heide reiten, ohne dem drohenden weiten Himmel entrinnen zu können, der sie überall umgab, und der so furchterregend über ihr und ihrem Kind hing… Fröstelnd faltete Gwenhwyfar die Hände über ihrem Leib, als versuche sie, das kleine Wesen dort drinnen vor den drohenden Wolken zu schützen.
Warum fürchte ich mich immer so? Igraine war Heidin und den Listen des Teufels verfallen. Mir kann nichts geschehen, ich rufe Christus zu meiner Rettung. Was kann es unter Gottes Himmel geben, vor dem man sich so fürchten muß?
Und doch packte sie wieder diese grundlose Angst.
Ich darf mich nicht fürchten. Ich bin die Königin von ganz Britannien. Und die einzige Frau, die außer mir diesen Titel trug, ruht jetzt hier in der Erde… Ich bin die Königin und die Mutter von Artus
'
Sohn…
Die Nonnen beendeten ihren Gesang und verließen das Grab. Gwenhwyfar zog fröstelnd den Mantel eng um sich. Sie mußte nun gut auf sich aufpassen; viel ruhen, richtig essen und sicherstellen, daß nichts falschlief wie jedesmal vorher. Heimlich zählte sie an ihren Fingern ab. Wenn es beim letzten Mal vor ihrer Abreise geschehen war… sie hatte seit mehr als zehn Sonntagen kein Bluten mehr gehabt… sie wußte es einfach nicht genau. Trotzdem war Gwenhwyfar sicher, daß ihr Sohn um Ostern geboren werden würde. Ja, das war eine gute Zeit. Sie dachte daran, wie ihre Hofdame Meleas ihren Sohn bekommen hatte – mitten im Winter. Die Winde brausten um die Burg, als wartete alles Böse nur darauf, das Lebenslicht des Neugeborenen sofort wieder auszublasen. Meleas bestand hartnäckig darauf, daß der Priester in das Frauengemach kam und das kleine Kind taufte, beinahe noch ehe es den ersten Schrei getan hatte. O ja, Gwenhwyfar freute sich, daß sie ihr Kind nicht im dunklen Winter zur Welt bringen sollte. Aber würde sie sich nicht sogar damit abfinden, das langersehnte Kind in der Nacht der Wintersonnenwende zu gebären?
Eine Glocke läutete, und die Äbtissin kam zu Gwenhwyfar. Sie verbeugte sich nicht – sie hatte einmal gesagt, weltliche Macht gelte hier nichts –, aber schließlich war Gwenhwyfar die Königin. Deshalb neigte sie ehrerbietig den Kopf und fragte: »Werdet Ihr bei uns bleiben, meine
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