Avalon 08 - Die Nebel von Avalon
überlassen?«, sprang über den Zaun, griff nach einem der Holzschwerter und lief auf den großen blonden Jüngling zu. »Du bist zu groß für diese Burschen… Komm her und versuche dich an einem, den du nicht um Kopfeslänge überragst.«
Gwenhwyfar dachte plötzlich ängstlich:
Wer überragt wen?,
denn Lancelot war kaum größer als sie selbst, und der junge Bursche überragte
ihn
um Kopfeslänge. Gareth zögerte, als er sich plötzlich dem Obersten der Reiterei des Königs gegenübersah. Aber Artus ermutigte ihn mit einer Geste, und sein Gesicht strahlte vor Freude. Er griff Lancelot an, hob das Holzschwert zum Schlag und mußte verblüfft feststellen, daß er Lancelot nicht getroffen hatte. Der Ritter war ausgewichen, drehte sich geschwind einmal um sich selbst und versetzte Gareth einen Hieb auf die Schulter, doch so, daß es dem Jungen nur das Hemd zerriß. Gareth schüttelte sich und fing Lancelots nächsten Schlag mit dem Schild ab. Lancelot glitt auf dem feuchten Gras aus, und er schien vor dem Jungen auf die Knie zu fallen.
Gareth machte einen Schritt rückwärts; Lancelot sprang auf und schrie: »Dummkopf! Stell dir vor, ich wäre ein Sachsenhäuptling!« und versetzte ihm mit der flachen Klinge einen Schlag auf den Rücken. Gareth ging wie betäubt zu Boden, sein Schwert flog in hohem Bogen durch die Luft.
Lancelot beugte sich über ihn und sagte lächelnd: »Ich wollte dich nicht verletzen, mein Junge! Aber du mußt lernen, mehr auf der Hut zu sein.« Er streckte ihm die Hand hin: »Komm, steh auf.«
»Ihr habt mir eine große Ehre erwiesen, Herr Ritter«, erwiderte der Junge mit glühendem Gesicht. »Ja, es hat mir gutgetan, Eure Kraft zu spüren.«
Lancelot klopfte ihm auf die Schulter: »Ich hoffe, wir werden immer Seite an Seite kämpfen und nicht als Gegner, Schönling«, sagte er und kehrte zum König zurück.
Der junge Mann hob das Schwert auf und lief zu seinen Kameraden, die ihn umringten und neckten. »Bravo, Schönling! Du hast beinahe den Reiterobersten des Königs besiegt…«
Artus lächelte, als Lancelot über das Geländer sprang. »Wie ritterlich, Lance. Er wird wie sein Bruder ein tapferer Ritter werden«, fuhr er fort und nickte Gawain zu. »Verrate ihm nicht, daß ich weiß, wer er ist, mein Freund… Er hat ehrenhafte Gründe, seinen Namen nicht zu nennen. Aber sage ihm, daß ich ihn beim Kampf gesehen habe und ihn zum Ritter schlagen werde – an Pfingsten. Da kann jeder Bittsteller zu mir kommen, und wenn er will, kann er an diesem Tag ein Schwert von mir fordern, wie es seinem Rang gebührt.«
Gawain strahlte. Gwenhwyfar dachte:
Jedem, der die beiden zusammen sieht, muß doch die Ähnlichkeit auffallen, denn selbst ihr Lächeln ist gleich.
Gawain antwortete: »Ich danke Euch, mein König und Gebieter. Möge er Euch ebenso gut dienen wie ich.«
»Das wird ihm wohl kaum gelingen«, entgegnete Artus bewegt. »Meine Freunde und Gefährten machen mich zu einem glücklichen Mann.«
Gwenhwyfar dachte:
Artus weckt wirklich in allen Liebe und Treue –
es war tatsächlich das Geheimnis seiner Herrschaft. Zwar hatte er sich in der Schlacht oft genug bewährt, aber Artus war kein großer Kämpfer. Mehr als einmal hatte Gwenhwyfar miterlebt, wie er in den Scheingefechten, die die Ritter zu ihrem Vergnügen veranstalteten und mit denen sie sich im Waffenhandwerk übten, von Lancelot und selbst von dem alten Pellinore aus dem Sattel gehoben oder beim Zweikampf besiegt wurde. Artus wurde dabei weder zornig noch fühlte er sich in seinem Stolz verletzt, sondern erklärte gutmütig, er sei froh, so tapfere Kämpfer zu seinem Schutz um sich zu haben. Er schätze sich glücklich, sie als Freunde und nicht als Feinde zu haben.
Bald danach sammelten die Jungen ihre Schwerter und Schilde ein und verließen den Turnierplatz. Gawain folgte seinem Bruder; Artus nahm Gwenhwyfar bei der Hand und ging mit ihr zur Festungsmauer.
Camelot stand auf einem mächtigen, hohen abgeflachten Hügel. Die Kuppe bot einer ganzen Stadt Platz, und man hatte innerhalb der Festungsmauer ihre Burg und Stadt errichtet. Artus führte Gwenhwyfar zu einem Aussichtspunkt, den er besonders liebte. Wenn er dort auf der Mauer stand, konnte er das ganze weite Tal überblicken. Gwenhwyfar wurde es schwindlig, und sie lehnte sich gegen die Steine. Von hier aus sah sie ihre Inselheimat, das Reich von König Leodegranz und etwas weiter im Norden die Insel, die sich aus dieser Entfernung wie ein schlafender Drache
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