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Avalon 08 - Die Nebel von Avalon

Titel: Avalon 08 - Die Nebel von Avalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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hochzustecken. Vermutlich würde sie nie erfahren, was Gwydion wirklich beabsichtigte.
    Der Tag verging langsam in gewohnter Weise. Morgause hatte sich schon manchmal gefragt, ob Gwydion das Gesicht besaß. Aber es gab nicht die geringsten Anzeichen dafür. Einmal hatte sie ihn direkt darauf angesprochen. Er tat, als verstehe er ihre Frage nicht. Wenn er es besäße, dachte Morgause, hätte ich ihn wenigstens einmal dabei ertappt, daß er damit prahlt.
    Nun gut. Aus einem unergründlichen kindlichen Willen hatte Gwydion ein Fest gewünscht und es sich durch Schmeicheleien von ihr erbettelt. Sicher fühlte sich der Knabe einsam, nachdem Gareth sie verlassen hatte – mit Lots anderen Söhnen verband ihn wenig. Gwydion teilte auch nicht Gareths Leidenschaft für Waffen und Wettkämpfe; und soweit Morgause wußte, besaß er auch nicht Morgaines Musikalität. Er hatte zwar eine klare Stimme, und manchmal zog er die Hirtenflöte hervor und spielte seltsame traurige Weisen.
    Aber bei ihm war es keine Leidenschaft wie bei Morgaine, die am liebsten den ganzen Tag lang Harfe gespielt hätte. Er besaß eine schnelle Auffassungsgabe und ein gutes Gedächtnis. Lot hatte drei Jahre lang einen Priester aus Iona am Hofe gehabt, der dem Knaben das Lesen beibrachte. Lot ordnete an, auch Gareth sollte unterrichtet werden, aber jener zeigte keine Lust an Büchern. Gehorsam kämpfte er mit den Buchstaben und dem Latein, ohne jedoch mehr zu lernen als Gawain… oder Morgause. Es war zu schwierig, sich auf geschriebene Zeichen oder die geheimnisvolle Sprache der alten Römer zu konzentrieren. Agravain begriff schnell… er führte alle Listen und Abrechnungen der Güter; er besaß ein Talent für Zahlen. Aber Gwydion schien alles in sich aufzusaugen, was man ihm erzählte.
    Innerhalb eines Jahres konnte er ebenso gut Latein lesen und sprechen wie der Priester – als sei er einer der wiedergeborenen Cäsaren. Und Morgause überlegte zum ersten Mal, ob vielleicht doch etwas an der Behauptung der alten Druiden sei, die sagten:
Wir werden wieder und wieder geboren und lernen in jedem Leben etwas mehr. Gwydion ist ein Sohn, auf den sein Vater stolz sein kann,
dachte Morgause.
Und Artus hat keinen Sohn von seiner Königin. Eines Tages… ja, eines Tages werde ich Artus ein Geheimnis enthüllen, und dann habe ich den König in der Hand.
    Dieser Gedanke erfüllte sie mit größter Genugtuung. Es erstaunte sie, daß Morgaine ihre Macht über den König nie ausnutzte – sie hätte Artus zwingen können, sie mit dem reichsten seiner Könige zu verheiraten. Sie hätte Juwelen oder Macht besitzen können, aber Morgaine lag nichts an solchen Dingen.
    Für sie gab es nur die Harfe und den Unsinn, den die Druiden verkündeten. Wenigstens sie, Morgause, würde Nutzen aus dieser Macht ziehen, die ihr das Schicksal so unerwartet zugespielt hatte…
    Ungewohnt festlich gekleidet saß Morgause in der Halle, kardete die Wolle von der Frühlingsschnur und traf Entscheidungen: Gwydion brauchte einen neuen Mantel. Der Knabe wuchs so schnell – der alte reichte ihm nur noch bis zu den Knien. Damit konnte er den kalten Winter kaum überstehen, und zweifellos würde er in diesem Jahr noch weiter wachsen. Vielleicht sollte sie ihm Agravains Mantel geben – man mußte ihn nur etwas umnähen. Dann würde Agravain einen neuen Mantel bekommen. Gwydion tauchte in seiner gelben Festtagstunika auf und schnupperte genußvoll, als der würzige Duft des Honigkuchens den Raum erfüllte. Doch er bettelte nicht darum, daß der Kuchen sofort angeschnitten wurde und er ein Stück bekam, wie er es vor einigen Monaten noch getan hätte.
    Und um die Mittagszeit verkündete er: »Mutter, ich möchte ein Stück Brot und Käse auf die Hand. Ich gehe die Weiden ab… Agravain sagte, ich solle nachsehen, ob alle Zäune in Ordnung sind.«
    »Aber doch nicht in deinem guten Schuhwerk«, mahnte Morgause.
    »Ganz sicher nicht. Ich gehe barfuß.« Damit löste Gwydion die Sandalen und stellte sie neben den Herd. Er zog die Tunika bis über die Knie hoch, nahm einen kräftigen Stock und marschierte davon.
    Morgause sah ihm verblüfft nach – das war keine Arbeit, der Gwydion sich freiwillig unterzog, Agravain mochte sonst sagen, was er wollte. Was war heute mit dem Jungen nur los? Kurz nach Mittag kam Lochlann mit einem schönen großen Fisch zurück. Er war so schwer, daß Morgause ihn nicht einmal heben konnte. Sie betrachtete das Schuppentier vergnügt und dachte, ein jeder an der Hohen

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