Avalon 08 - Die Nebel von Avalon
ihr überhaupt nicht ähnlich.«
Kevin antwortete geziemend, aber auch leicht belustigt: »Unter den Weisheiten der Druiden gibt es einen alten Spruch… Schönheit zeigt sich nicht nur im Gesicht, sondern liegt dahinter. Morgaine ist sehr schön, Königin Morgause, obwohl ihre Schönheit der Euren nicht mehr ähnelt als eine Weide der Narzisse. Und sie ist der einzige Mensch am Hof, dessen Händen ich Meine Herrin anvertraue.«
Er wies auf die Harfe, die, aus ihrer Hülle befreit, neben ihm stand. Morgause ergriff die Gelegenheit und bat Kevin um ein Lied. Er griff nach der Harfe und sang. Eine Zeitlang war in der Halle außer den Sai
tenklängen und der Stimme des Barden nichts zu hören. Und während er sang, drängten sich die Leute aus der unteren Halle so dicht wie möglich heran, um ebenfalls in den Genuß der göttlichen Musik zu kommen. Nachdem er die Harfe beiseite gestellt und Morgause die Leute entlassen hatte – Lochlann allerdings durfte still am Feuer sitzen bleiben –, sagte sie: »Auch ich liebe die Musik sehr, Großer Harfner. Ihr habt uns eine Freude geschenkt, an die ich mich noch lange erinnern werde. Aber gewiß habt Ihr die lange Reise von Avalon hierher in den hohen Norden doch nicht unternommen, damit ich zu Harfenmusik tafeln kann. Ich bitte Euch, sagt mir, weshalb Ihr so unerwartet gekommen seid?«
»So unerwartet wieder nicht«, entgegnete Viviane mit einem kleinen Lächeln. »Denn du warst festlich gekleidet und vorbereitet, um uns mit Wein, Fisch und Honigkuchen zu begrüßen. Du hast von meinem Kommen erfahren. Und da du nie auch nur den leisesten Schimmer des Gesichts hattest, kann ich mir nur vorstellen, daß jemand es dir sagte, der ganz in unserer Nähe sitzt.« Sie warf Gwydion einen hintergründigen Blick zu, und Morgause nickte. »Aber er verriet mir nicht, weshalb. Er bat mich nur, alles für ein Fest vorzubereiten. Und ich glaubte, es sei nicht mehr als die Laune eines Kindes.«
Gwydion wich nicht von Kevins Seite, als der Merlin die Harfe wieder in die Hülle wickeln wollte. Schüchtern streckte der Knabe die Hand aus und fragte: »Darf ich die Saiten berühren?«
»Du darfst«, erwiderte Kevin mild. Gwydion zupfte an den Saiten und sagte: »Eine so wunderbare Harfe habe ich noch nie gesehen.«
»Da hast du recht, mein Junge. Meines Wissens gibt es keine bessere Harfe, auch nicht in Wales, wo sie eine Bardenschule haben«, antwortete Kevin. »Meine Herrin ist das Geschenk eines Königs. Ich trenne mich nie von ihr. Und wie viele Frauen«, fügte er mit einer galanten Verbeugung in Richtung Viviane hinzu, »wird sie im Lauf der Jahre nur schöner.«
»Ich wünschte, meine Stimme wäre im Alter lieblicher geworden«, sagte Viviane gutgelaunt. »Aber die Dunkle Mutter hat es anders gefügt. Nur ihre unsterblichen Kinder singen schöner, je älter sie werden. Möge Eure Harfe und Eure Herrin nie weniger schön singen als jetzt.«
»Liebst du Musik, Gwydion? Hast du gelernt, die Harfe zu spielen?«
»Ich habe keine Harfe«, antwortete der Knabe. »Coll, der einzige Harfner am Hof, hat inzwischen so steife Finger, daß er nur noch selten spielt. Vor zwei Jahren gab es hier zum letzten Mal Musik. Aber ich spiele ein wenig Flöte… Aran, Lots Pfeifenspieler, hat es mir beigebracht… dort drüben hängt sie. Aran zog mit König Lot zum Berg Badon, und wie Lot kam er nicht mehr zurück.«
»Bring sie mir«, forderte ihn Kevin auf. Gwydion nahm die Flöte von der Wand, Kevin rieb sie mit einem Tuch sauber, blies den Staub heraus, dann setzte er sie an die Lippen und legte die verkrümmten Finger auf die Löcher. Er spielte ein lustiges Tanzlied, dann legte er das Instrument beiseite und sagte: »Ich kann das nicht. Meine Finger sind nicht schnell genug. Nun, Gwydion, wenn du Musik liebst, in Avalon kannst du sie erlernen… aber spiele mir doch etwas vor auf deiner Flöte.«
Gwydion hatte einen trockenen Mund – Morgause sah, wie er sich mit der Zunge über die Lippen fuhr. Aber er nahm das Instrument aus Holz und Horn in die Hand und begann bedächtig, ihm Töne zu entlocken. Dann spielte er eine langsame Melodie, und nach einer Weile nickte Kevin.
»Das reicht«, sagte er. »Du bist schließlich Morgaines Sohn… es wäre seltsam, wenn du unbegabt wärst. Wir können dir sicher viel zeigen. Du hast vielleicht das Zeug zu einem Barden, aber wahrscheinlich bist du zum Priester und Druiden bestimmt.«
Gwydion sah ihn mit großen Augen an. Er ließ fast die Flöte
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