Avalon 08 - Die Nebel von Avalon
selbstverständlich an ihre Seite, wo so viele Jahre das kleine halbmondförmige Messer gehangen hatte.
Und ich habe es weggeworfen. Wie kann ich da über die Entweihung der Mysterien sprechen?
Plötzlich wirbelte die Luft vor ihr auf. Morgaine glaubte, zu Boden zu sinken, denn vor ihr im Mondlicht stand Viviane. Sie war älter und magerer. Unter den geraden Brauen brannten ihre Augen wie glühende Kohlen. Ihre Haare waren beinahe völlig weiß. Sie schien Morgaine voll Trauer und Zärtlichkeit anzusehen.
»Mutter…«, stammelte sie und wußte nicht, ob sie zu Viviane oder zur Göttin sprach. Dann verschwamm die Gestalt vor ihr, und Morgaine wußte, es war nicht Viviane, sondern nur eine Vision. »Warum bist du gekommen? Was willst du von mir?« flüsterte Morgaine. Sie kniete und spürte das Wehen von Vivianes Gewändern im Nachtwind. Die Herrin vom See trug eine Weidenkrone wie die Königin im Feen-land. Die Erscheinung streckte die Hand aus, und Morgaine spürte, wie der verblaßte Halbmond auf ihrer Stirn brannte.
Ein Wächter ging mit seiner Laterne über den Burghof. Morgaine starrte immer noch ins Nichts. Schnell erhob sie sich, ehe der Mann sie entdeckte. Sie wußte, die meisten Männer am Hof fürchteten sie und hielten sie für eine Zauberin, eine Fee oder eine Hexe. Plötzlich hatte sie keine Lust mehr, zu Kevin zu gehen. Er würde auf sie warten. Aber er würde ihr nie einen Vorwurf machen, wenn sie nicht kam.
Leise ging sie durch die Flure in das Schlafgemach, das sie mit Gwenhwyfars Hofdamen teilte. Sie kroch neben Elaine ins Bett.
Ich dachte, das Gesicht sei mir für immer genommen. Und doch kam Viviane und streckte die Hand nach mir aus. Bedeutet das, Avalon braucht mich? Oder werde ich wie Lancelot langsam wahnsinnig?
3
Als Morgaine erwachte, herrschte in der ganzen Burg bereits die lärmende Betriebsamkeit eines hohen Feiertages: Pfingsten! Im
Burghof flatterten die Fahnen, Menschen strömten durch die Tore, Diener und andere Hofleute bereiteten den Platz für das Turnier vor.
In Camelot und an den Hängen des Hügels standen offene hölzerne Rundhäuser wie seltsame und schöne Blumen.
Sie hatte keine Zeit für Träume und Visionen. Gwenhwyfar ließ sie rufen, um ihr die Haare zu frisieren – keine Frau in ganz Camelot hatte so geschickte Hände wie Morgaine; und Morgaine hatte versprochen, der Königin an diesem Morgen Zöpfe mit vier Haarsträhnen zu flechten und aufzustecken – eine Haartracht, die sie selbst an hohen Festtagen trug. Während sie Gwenhwyfars glänzendes seidiges Haar auskämmte und zum Flechten teilte, warf sie einen Blick auf das Ehebett. Die Kämmerer hatten Artus bereits angekleidet, und er hatte das Gemach verlassen. Pagen und Kammerfrauen wechselten die Laken, brachten schmutzige Wäsche zum Waschen und breiteten Festgewänder vor Gwenhwyfar aus, damit sie sich entscheiden konnte, welches sie tragen wollte.
Morgaine dachte:
Sie haben zu dritt das Bett geteilt, Lancelot, Gwenhwyfar und Artus –
so etwas war ihr nicht völlig fremd. Sie erinnerte sich undeutlich an ähnliches im Land der Feen. Lancelot wurde von Schuldgefühlen gequält; Morgaine konnte sich nicht vorstellen, was Artus über all das dachte. Mit geschickten Fingern flocht sie Gwenhwyfars Haare und dachte darüber nach, was ihre Schwägerin wohl empfand. Plötzlich stiegen sinnliche Bilder in ihr auf. Sie dachte an den Tag auf der Dracheninsel, als Artus sie beim Erwachen in seine Arme gezogen hatte, und an die Nacht mit Lancelot im Obstgarten. Sie senkte den Blick und heftete ihren Blick auf die seidigen Haare der Königin.
»Sie sind zu fest geflochten«, beschwerte sich Gwenhwyfar, und Morgaine antwortete kurz angebunden: »Es tut mir leid.« Und sie zwang sich, ihre Hände zu entspannen. Damals war Artus noch ein Jüngling gewesen und sie eine Jungfrau. Lancelot… hatte er Gwenhwyfar geschenkt, was er ihr vorenthalten hatte, oder gab sich
die Königin mit solchen kindischen Zärtlichkeiten zufrieden? Sosehr Morgaine sich auch bemühte, sie konnte sich nicht von diesen schrecklichen Bildern lösen. Trotzdem fuhr sie unbeirrt in ihrer Arbeit fort, und ihr Gesicht blieb unbewegt wie eine Maske.
»So, das wird halten… Gib mir bitte die silberne Nadel«, sagte sie und steckte die Zöpfe auf. Gwenhwyfar betrachtete sich hocherfreut in ihrem kupfernen Spiegel – einer ihrer Schätze.
»Wie schön, liebe Schwester, ich danke dir«, sagte Gwenhwyfar und umarmte Morgaine, die in ihren Armen
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