Avalon 08 - Die Nebel von Avalon
fragte sich, ob die Christen wirklich nicht wußten, wie verbreitet diese Gaben eigentlich waren. Jeder konnte diese Kräfte beherrschen, wenn er bewiesen hatte, daß er sie nicht mißbrauchte. Aber dazu gehörte, daß man das einfache Volk nicht mit albernen Wundern verwirrte. Die Druiden benutzten ihre Macht nur dazu, das Gute im verborgenen zu tun und nicht, um die Menge anzulocken!
Als die Gläubigen an den Altar traten, um Brot und Wein entgegenzunehmen, schüttelte Morgaine den Kopf und blieb stehen, obwohl Gwenhwyfar versuchte, sie mit nach vorne zu ziehen. Sie war keine Christin und wollte auch nicht vorgeben, es zu sein.
Nach dem Gottesdienst beobachtete sie die Zeremonie vor der Kirche. Lancelot zog sein Schwert und berührte damit Gareth an der Schulter. In seiner kräftigen und wohlklingenden Stimme sagte er klar und feierlich: »Erhebt Euch, Gareth, von nun an seid Ihr König Artus' Gefährte und unser aller Bruder, und der Bruder jedes Ritters an diesem Hof. Denkt stets daran, Euren König zu verteidigen, und mit allen Rittern Artus' und allen Menschen in Frieden zu leben. Aber vergeßt dabei auch nicht, gegen das Böse zu kämpfen und alle zu verteidigen, die Eures Schutzes bedürfen.«
Morgaine erinnerte sich daran, wie Artus das Schwert Excalibur aus den Händen der Herrin vom See entgegengenommen hatte. Sie warf ihm einen Blick zu und überlegte, ob auch der Bruder daran dachte.
Hatte er vielleicht deshalb diesen feierlichen Schwur und diese Zeremonie eingeführt, damit die jungen Männer, die er zu seinen Rittern machte, auf ein denkwürdiges Ritual zurückblicken konnten? Vielleicht war es doch keine Verunglimpfung der Heiligen Mysterien, sondern der Versuch, sie nach bestem Wissen und Gewissen zu bewahren… Aber warum mußte diese feierliche Handlung im Schatten der Kirche stattfinden? Würde der Tag kommen, an dem Artus den Ritterschlag jedem verweigerte, der kein gläubiger Christ war? Während des Gottesdienstes hatten Gareth und sein Vetter und Gönner Lancelot als erste die heilige Kommunion erhalten – noch vor dem König. Wurde der Ritterschlag durch dieses Ritual in der Kirche nicht zu einem christlichen Sakrament? Lancelot stand es nicht zu, dieses Sakrament auszuteilen. Er hatte nicht die Weihen erworben, die notwendig waren, um die Mysterien an andere weiterzugeben. War es eine Entweihung der Alten Geheimnisse oder der aufrichtige Versuch, die Mysterien in die Herzen und Seelen aller am Hof zu pflanzen? Morgaine wußte es nicht.
Es blieb noch etwas Zeit bis zum Beginn des Turniers. Morgaine beglückwünschte Gareth und gab ihm ihr Geschenk – einen schönen gefärbten Ledergürtel für Schwert und Dolch. Er beugte sich zu ihr hinunter, um sie zu küssen.
»Oh, du bist groß geworden, mein Kleiner… ich glaube, deine Mutter würde dich nicht wiedererkennen!«
»Es geht allen so, liebe Base, ich bezweifle, daß Ihr Euren Sohn erkennen würdet!« Dann drängten sich die anderen Ritter um ihn und beglückwünschten ihn. Artus ergriff den jungen Ritter an beiden Händen und sprach so freundlich mit ihm, daß Gareth errötete.
Morgaine entging nicht, daß Gwenhwyfar sie scharf ansah. »Morgaine… was hat Gareth gesagt…
Dein Sohn?«
Morgaine erwiderte kühl: »Ich habe es Euch nie gesagt, Schwägerin, weil ich Eure Religion achte. Ich habe der Göttin nach Beltane einen Sohn geboren. Er wächst an Lots Hof auf. Seit er entwöhnt wurde, habe ich ihn nicht mehr gesehen. Seid Ihr nun zufrieden, oder werdet Ihr mein Geheimnis überall weitererzählen?«
»Nein«, entgegnete Gwenhwyfar erbleichend. »Wie traurig für Euch, von Eurem Sohn getrennt zu sein! Es tut mir leid, Morgaine. Ich werde es nicht einmal Artus sagen… Auch er ist ein Christ, und sicher wäre auch er entsetzt.«
Du ahnst nicht, wie entsetzt er wäre,
dachte Morgaine grimmig. Ihr Herz klopfte. Konnte man Gwenhwyfar ein Geheimnis anvertrauen? Zuviele teilten es inzwischen!
Die Trompete blies, und das Turnier begann. Artus hatte sich überreden lassen, nicht in die Schranken zu treten, denn niemand wollte gegen den König kämpfen. Eine Partei des Scheinkampfes sollte Lancelot als der Ritter des Königs anführen, und das Los fiel auf Uriens von Nordwales als Anführer der Gegenseite. Er war ein mutiger Mann, zwar schon älter, aber immer noch stark und kräftig. An seiner Seite kämpfte Accolon, sein Zweitältester Sohn. Als Accolon die Handschuhe überstreifte, bemerkte Morgaine an seinen Handgelenken die
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