Avalon 08 - Die Nebel von Avalon
schwindlig wurde.
Damit das Leben auf der Welt nicht versiegt… damit das Leben in mir nicht versiegt… er hat mich im Namen der Göttin gerufen…
»Seid still«, sagte Morgaine verwirrt. »Dies ist weder die Zeit noch der Ort für solche Reden.«
»Wirklich nicht?« Inzwischen hatte man den Rand des gepflügten Feldes erreicht. Er ließ ihre Hand los, und sie vermißte seine Wärme. Vor ihnen hüpften die vermummten Tänzer und schwangen ihre umkränzten Stäbe. Die Frühlingskönigin, deren langes Haar in der leichten Brise wehte, schritt den Kreis der Tänzer ab und küßte einen nach dem anderen… ein förmlicher Kuß, bei dem ihre Lippen kaum die Wangen der Männer berührten. Uriens winkte Morgaine ungeduldig an seine Seite. Kühl und gefaßt stellte sie sich neben ihn. Nur an ihren Handgelenken, wo Accolon sie gehalten hatte, spürte sie eine flammende Hitze; sonst war ihr Körper wie mit Eis bedeckt.
Uriens erklärte geschäftig: »Es ist deine Aufgabe, meine Liebe, das hier an die Tänzer zu verteilen, die uns unterhalten haben.« Er gab einem Diener das Zeichen, damit er ihr Süßigkeiten und kandierte Früchte reichte. Morgaine warf sie unter die Tänzer und Zuschauer, die lachend und drängend versuchten, sie aufzufangen.
Dies alles ist eine Verhöhnung der Heiligen Handlungen… eine bloße Erinnerung an den Tag, als das Volk sich darum drängte, ein Teil des Fleisches und etwas Blut des Opfers aufzufangen… Soll dieses Ritual ruhig vergessen sein, aber man darf es nicht auf solche Weise verspotten!
Man füllte ihr wieder und wieder die Hände mit Süßigkeiten, und wieder und wieder warf Morgaine sie unter die Menge. Niemand sah in dem Ritual etwas anderes als die Belohnung der Tänzer. Hatten sie alles Frühere vergessen? Lachend und glücklich, voll unschuldigen Stolzes kam die Frühlingskönigin zu Morgaine. Man sah, wie hübsch das Mädchen war. Aber es hatte leere Augen, und seine Hände waren rauh und schwielig von der Arbeit auf den Feldern. Die Frühlingskönigin war nur ein hübsches Bauernmädchen, das versuchte, die Handlungen einer Priesterin auszuüben, ohne auch nur im geringsten zu wissen, was sie eigentlich tat. Man konnte es ihr nicht verübeln.
Und doch ist sie eine Frau. Sie erfüllt die Aufgabe der Großen Mutter, so gut sie kann. Es ist nicht ihre Schuld, daß sie nicht in Avalon darauf vorbereitet wurde.
Morgaine wußte nicht genau, was man von ihr erwartete. Aber als das Mädchen vor der Königin niederkniete, nahm Morgaine die fast vergessene Haltung einer segnenden Priesterin ein und empfand einen Augenblick lang das vertraute Bewußtsein, daß etwas über sie kam… sie legte die Hände auf die Stirn des Mädchens und spürte den Strom der Kraft zwischen ihnen. Das eher einfältige Gesicht der jungen Frau nahm einen verklärten Ausdruck an.
Die Göttin wirkt auch in ihr,
dachte Morgaine und bemerkte dann Accolons Blick. Der Ritter sah sie voll ehrfürchtiger Bewunderung an.
Sie hatte diesen Gesichtsausdruck früher schon gesehen, wenn sie die Nebel von Avalon rief… und das Bewußtsein der Macht überflutete Morgaine, als sei sie plötzlich wiedergeboren.
Ich lebe wieder. Nach all diesen Jahren bin ich wieder Priesterin… und Accolon hat mich zurückgeholt…
Die Spannung löste sich. Das Mädchen erhob sich, stolperte dabei fast über seine eigenen Füße und verneigte sich unbeholfen vor der königlichen Gesellschaft. Uriens verteilte Münzen unter die Tänzer und machte dem Dorfpriester ein größeres Geschenk, damit er Wachsstöcke für seine Kirche kaufen konnte. Danach ging der Hof zur Burg zurück. Morgaine schritt gelassen an Uriens' Seite – ihr Gesicht eine Maske, aber innerlich überschäumend vor Leben. Uwain kam zu ihr.
»In diesem Jahr war es schöner als sonst, Mutter. Shanna ist so hübsch… die Frühlingskönigin. Ihr Vater ist der Schmied Euan. Aber als du sie gesegnet hast, Mutter, hast du wunderschön ausgesehen… du hättest eigentlich die Frühlingskönigin sein sollen!«
»Aber, aber«, widersprach Morgaine lachend. »Glaubst du wirklich, ich könnte ganz in Grün und mit wehenden Haaren um die gepflügten Felder tanzen? Und außerdem bin ich keine Jungfrau mehr…«
»Das stimmt«, erwiderte Uwain und musterte sie prüfend. »Aber du hast ausgesehen wie die Göttin. Vater Eian sagt zwar, die Göttin war in Wirklichkeit ein böser Geist, der die Menschen davon abgehalten hat, Christus zu dienen. Aber weißt du, was ich glaube? Ich
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