Avalon 08 - Die Nebel von Avalon
glaube, die Göttin war da, und die Leute haben sie angebetet, ehe man sie lehrte, die Heilige Mutter Jesu Christi anzubeten.«
Accolon ging neben ihnen. Er sagte: »Die Göttin gab es vor Christus. Es schadet nicht, wenn du sie dir als Maria vorstellst, Uwain. Du mußt der Göttin immer dienen, gleichgültig unter welchem Namen. Aber ich rate dir, sprich nicht mit Vater Eian darüber.«
»O nein«, erwiderte der Junge mit großen Augen. »Er hält nichts von Frauen, selbst wenn sie Göttinen sind.«
»Ich frage mich, was er von Königinnen hält?« murmelte Morgaine. Sie hatten die Burg erreicht, und Morgaine mußte sich um Uriens' Reisegepäck kümmern. Über ihren täglichen Pflichten schob sie die neuen Einsichten beiseite; aber sie wußte, zu einem späteren Zeitpunkt mußte sie über all das ernsthaft nachdenken. Der König brach am frühen Nachmittag auf. Seine Bewaffneten, sein Schildknappe und zwei seiner Leibdiener begleiteten ihn. Mit einem zärtlichen Kuß verabschiedete er sich von Morgaine und ermahnte seinen Sohn Avalloch, in allen Dingen auf den Rat Accolons und der Königin zu hören. Uwain schmollte; er wollte seinen Vater, den er anbetete, begleiten; aber Uriens wollte sich nicht mit einem Kind belasten. Morgaine mußte den Knaben trösten. Aber schließlich war alles ruhig. Morgaine saß allein in der großen Halle am Feuer. Maline hatte ihre Kinder zu Bett gebracht, und Morgaine konnte über alles nachdenken, was an diesem Tag geschehen war. Draußen war es immer noch nicht ganz dunkel, denn heute war die kurze Mittsommernacht.
Morgaine hielt Spindel und Spule in der Hand. Aber sie gab nur vor zu spinnen und drehte nur hin und wieder den Faden. Sie liebte das Spinnen heute ebenso wenig wie früher. Zu den wenigen Dingen, die sie sich von Uriens erbeten hatte, gehörten zwei Spinnfrauen, die ihr diese ungeliebte Arbeit abnahmen. Statt dessen saß sie oft am Webstuhl. Sie
wagte
nicht zu spinnen. Es würde sie wieder in den merkwürdigen Zustand zwischen Schlafen und Wachen versetzen, und sie fürchtete sich vor dem, was sie vielleicht sehen würde. Deshalb drehte sie jetzt die Spindel nur aus dem Grund, daß keiner der Diener sie untätig am Feuer sitzen sah… sicher, niemand hatte das Recht, ihr Vorhaltungen zu machen. Sie arbeitete von morgens bis abends… In der Halle wurde es dunkler. Ein paar rote Strahlen der untergehenden Sonne auf dem Boden ließen die Wände um so schwärzer erscheinen. Morgaine schloß die Augen und dachte an die Sonne, die rot hinter den Ringsteinen unterging. Die Priesterinnen folgten der roten Fackel hinauf zum Berg… das schweigende und rätselhafte Gesicht Ravens tauchte vor ihr auf. Raven schien die Lippen zu bewegen und ihren Namen auszusprechen… Gesichter schwebten vor ihr in der Dämmerung: Elaine mit gelösten Haaren im Schein der Fackel, als man sie in Lancelots Armen überraschte… die wütende und triumphierende Gwenhwyfar an Morgaines Hochzeit… das ruhige und reglose Gesicht der Fremden mit den blonden, geflochtenen Haaren, die Frau, die sie nur in ihren Träumen gesehen hatte, die neue Herrin von Avalon… noch einmal Raven, diesmal ängstlich und flehend… Artus als Büßer mit einer Kerze inmitten seines Volkes… oh, die Priester würden nie wagen, den König zu zwingen, öffentlich Buße zu tun. Dann sah sie die Barke von Avalon, schwarz verhängt für ein Begräbnis. Im Nebel tauchte ihr eigenes Gesicht auf; neben ihr standen drei andere schwarz verhüllte Frauen, und in ihrem Schoß lag blaß und bewegungslos ein verwundeter Mann…
Der rote Schein einer Fackel zerriß die Dunkelheit, und eine Stimme fragte: »Versucht Ihr im Dunkeln zu spinnen, Mutter?«
Verwirrt blickte Morgaine auf und sagte ärgerlich: »Ich habe Euch doch gesagt, Ihr sollt mich nicht so nennen!«
Accolon steckte die Fackel in die Halterung und setzte sich ihr zu Füßen. »Die Göttin ist unser aller Mutter, Herrin. Und so sehe ich auch Euch…«
»Wollt Ihr mich verspotten?« fragte Morgaine heftig.
»Ich spotte nicht.« Accolon kniete vor ihr nieder und sagte bebend: »Ich habe Euer Gesicht heute morgen gesehen. Wie könnte ich es verspotten, da ich die Schlangen trage?« Er streckte die Arme aus, und im zuckenden Licht schienen die Schlangen sich zu ringeln und den Kopf zu heben. »Herrin, Große Mutter, Göttin…« Er faßte sie um die Hüfte und vergrub sein Gesicht in ihrem Schoß. Er murmelte: »Für mich trägst du das Gesicht der Göttin…«
Wie im
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