Avalons böse Schwestern
Stuhl. »Die… die Schlange?« hauchte sie.
»Ja, sie…«
»Ich kenne sie nicht. Ich…«
»Doch, du kennst sie. Die Schlange ist das Urbild des Bösen. Schon im Paradies hat sie die Eva verführt, und sie hat den Weg hierher gefunden. Drei böse Frauen sind aus ihrer Verbannung zurückgekehrt. Sie haben die Grenze nur durch die Mithilfe der Schlange aufbrechen können, und sie haben sich ihr verschworen. Die Schlange wird ihnen zur Seite stehen, und sie wird sie noch stärker machen. Ich habe Angst, schreckliche Angst, sie wächst immer weiter.«
Das sah Anna, denn der Pfarrer hatte wieder seinen Kopf gedreht und schaute sie an. Sein Gesicht war so bleich geworden, die Augen groß und dunkel. In ihnen spiegelte sich genau das wider, über das er vorhin mit ihr gesprochen hatte.
»Was können wir denn tun?«
Er griff nach ihrer Hand. Anna spürte die Kälte seiner Haut. Beinahe wie die einer Toten. Sie bemerkte auch das Zittern seiner Finger. »Gar nichts, fürchte ich.«
Das wollte Anna nicht so hinnehmen. »Da gibt es noch die beiden Männer aus London. Sie…«
»Sind zu spät, Anna, zu spät. Sie haben die Erweckung des Monsters nicht verhindern können.«
Anna nickte. »Was geschieht jetzt?«
Der Pfarrer zog seine kalte Hand zurück. »Ich weiß es nicht genau, aber wenn das Böse frei ist, wird es versuchen, Böses zu tun, das ist wohl klar.«
»Ja, ich begreife es.« Sie wischte über ihr Gesicht. Dann zerrte sie das Kopftuch ab. Unsicher blickte sie zum Fenster hin. Hinter der Scheibe rührte sich nichts. Nur die Blätter der alten Buche bewegten sich im leichten Wind, wobei dünner Dunst durch das Geäst trieb.
»Es wird sehr schlimm werden, Anna, und wir werden es kaum stoppen können. Ich befürchte, daß in Glastonbury zahlreiche Menschen sterben werden, denn die Rache dieser drei Frauen wird fürchterlich sein. Im Verein mit der Schlange werden sie alles vergessen, das mußt du mir glauben.«
»Trotzdem müssen wir etwas tun!« Anna beharrte auf ihrem Standpunkt.
Noch vor Minuten hatte sie sich unwohl gefühlt. Das war jetzt vorbei. Sie hatte den Eindruck, als wäre durch ihren Körper ein Kraftstrom gelaufen, der sie wieder aufgerichtet hatte. So etwas wie die Energie der Jugend war zurückgekehrt. Der Pfarrer hatte beinahe aufgegeben, nur wollte sie das nicht hinnehmen.
Sie stand auf. »Herr Pfarrer, wenn wir nichts tun können, gibt es trotzdem noch eine Möglichkeit. Lassen Sie uns in die Kirche gehen und gemeinsam beten.«
Er lächelte Anna an. »Was du da gesagt hast, habe ich mir gewünscht, es jedoch nicht zu hoffen gewagt. Ja, du hast so recht. Wir müssen etwas tun, deshalb möchte ich dich bitten, an meiner Seite zu bleiben. Ich werde auch nicht mehr in meinem Bett liegenbleiben. Bitte, tu mir einen Gefallen und hol mir die Kleidung aus dem Schrank.«
»Gern.« Sie machte sich schon auf den Weg. »Aber welche? Ihre Soutane?«
»Ja, die.«
Die Türen des Kleiderschrankes quietschten, als sie geöffnet wurden.
Anna kannte sich aus. Sie brauchte kein Licht und fand auch im dunklen Schrank zielsicher diejenigen Dinge, die sie dem Geistlichen reichen wollte.
Die Hose, ein Hemd, die Soutane, an der auch ein Rosenkranz befestigt war.
Sie ließ die Perlen über die Haut ihrer rechten Handfläche gleiten und hatte den Eindruck, kleine Eiskörner zu spüren, die zentimeterweise weiterwanderten.
»Geh währenddessen hinaus«, bat der Geistliche, bevor er die Bettdecke zurückschlug.
Anna verschwand. Leise schloß sie die Tür hinter sich. Im Halbdunkel des Flurs blieb sie stehen. Alle Gegenstände wirkten bei diesem Licht anders als sonst. Selbst das große Kreuz an der Wand war zu einem bedrohlichen Schatten geworden, und die Kommode wirkte wie ein Untier, das sich in die Hocke gedrückt hatte, um einen Moment später wieder in die Höhe zu springen.
Die Fläche des alten Spiegels neben den auf Holz angebrachten Garderobenhaken zeigte einen sehr matten Glanz. Es war schwer, sich bei diesen Lichtverhältnissen darin wieder zu erkennen.
Hatte der Pfarrer mit seinen Befürchtungen recht, oder hatte er sich alles zusammengesponnen? Am liebsten wäre Anna die zweite Möglichkeit gewesen, nur konnte sie daran nicht so recht glauben, denn die beiden Männer aus London waren ja nicht grundlos hier in Glastonbury erschienen. An diesen Befürchtungen mußte wohl etwas Wahres daran sein. Zudem lebten sie in einem Ort, der sowieso von Geheimnissen und Rätseln durchweht wurde und selbst
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