AvaNinian - Drittes Buch (German Edition)
es nicht ertragen, in ihrem Schlafgemach allein zu sein, solange die beiden Toten nicht fort waren. Es gab nichts zu reden, denn wenn sie nun auch nie wieder Gefährten sein würden, so waren sie doch Komplizen, untrennbar aneinandergekettet durch ihre gemeinsame Schuld. Keiner würde den anderen verraten können, ohne auch sich selbst preiszugeben. Vor dem Patriarchen und den anderen durften sie sich also nichts anmerken lassen.
Aber beide hatten das Gefühl, dass eigentlich der alte Mann so recht schuld an ihrem Unglück war. Seine Gemahlin, weil er ihr den Schleier verweigert, und sein Sohn, weil er ihm das Erbstück aufgedrängt hatte.
Paul war schließlich zurückgekommen, vier starke schweigsame Männern mit unbewegten Gesichtern im Gefolge. Sie hatten zwei Körbe dabei, in denen große Wäschestücke transportiert wurden.
Donovan und Isabeau hatten sich hinter einen Wandschirm geflüchtet, als die Männer die sterblichen Überreste von Tartuffe und Margeau verstaut hatten, und so nicht gesehen, wie Paul den weißen Schal von Margeaus Hals nahm und in seinem Wams verbarg. Dann waren er und die Männer mit ihrer furchtbaren Last verschwunden und weder Donovan noch Isabeau sollten jemals erfahren, wohin sie gebracht worden war.
Als Donovan leer und ausgebrannt wieder in seinem Schlafgemach stand, aus dem er vor wenigen Stunden voller Hoffnung aufgebrochen war, fiel ihm auf, dass er noch keine einzige Träne geweint hatte. Und sonst machte ihm doch der Tod eines Vogels die Augen feucht ...
Aber da war keine Trauer in ihm, nur Müdigkeit, und auf einmal wurde ihm klar, dass es keinen Grund für íhn gab, die Toten zu betrauern. Sie hatten ihn beide betrogen, das Mädchen so grausam, wie es schlimmer kaum möglich war.
In der Stille seines Zimmers kam eine große Ruhe über ihn und in der Leere seines Herzens erkannte er, dass er niemals wirklich geglaubt hatte, dass die Briefe von Ninian stammten.
Jermyn hatte recht gehabt, er hatte drei Jahre lang mit ihr zusammengelebt, hatte ihre Liebe zu seinem Nebenbuhler kennengelernt, ihre Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit. Die Wilden Nächte - das war nichts anderes gewesen als die Ausgelassenheit eines jungen Mädchens. Sie hatte ihm keine Hoffnungen gemacht und dass sie sich für ihr wildes Benehmen entschuldigt hatte, passte auch zu ihr. Aber das andere - heimliche Briefe und heimliche Treffen - das hatte er nur glauben wollen, es war nicht ihre Art.
Plötzlich merkte er, dass er froh darüber war, einem Betrug aufgesessen zu sein. Er sprang auf, eilte ans Fenster und stieß die Läden auf. Richtig, im Licht des Mondes schimmerte ein weißer Zettel.
Donovan nahm ihn, entfaltete ihn und las die höhnischen Worte, die ihn vernichtet hätten. So aber blieb seine Liebe und die Erinnerung an Ava unbefleckt und als er den Zettel in winzige Stücke zerriss und unter die Asche im Kamin mischte, beschloss er, Jermyns Rat anzunehmen. Es war Zeit, aus den Träumen zu erwachen und erwachsen zu werden.
1.Tag des Fruchtmondes 1465 p.DC., 3. Stunde
Ninian kauerte auf dem Sims des alten Wachturms, die Arme um die hochgezogenen Beine geschlungen. Die Nachtluft war erfüllt vom Zirpen der Grillen. Vor einem Jahr hatte sie es gar nicht wahrgenommen, nun zerrte es in seiner aufreizenden Eintönigkeit an ihrem aufgewühlten Gemüt, bis sie am liebsten geschrien hätte. Die dicken Mauern ihres Schlafgemachs würden den durchdringenden Ton abhalten und sie könnte sich die Decken über die Ohren ziehen, aber sie zog es vor, sich den schrillen Insektenstimmen auszusetzen - sie übertönten die nagenden Fragen in ihrem Kopf.
Wo war Jermyn? Was tat er?
Es war schlimm genug, dass er dieses lächerliche Spiel und das Zusammensein mit den anderen Männern so wichtig nahm, dass ihm nichts daran lag, die Erinnerung an ihre erste gemeinsame Nacht mit ihr zu teilen, diese Erinnerung, die noch jetzt ihr Blut erregte. Die ganzen letzten Tage hatte sie daran gedacht und sich darauf gefreut, es hatte sie sehr gekränkt, wie gründlich er es vergessen hatte.
Sie presste die Stirn auf die Knie und biss sich auf die Lippen.
Dann hatte sie erfahren, dass er überhaupt nicht mit Babitt und dem Bullen zusammengewesen war.
Seither zerbrach sie sich den Kopf darüber, was er so unbedingt ohne sie machen wollte, dass er sogar bereit war, dafür zu lügen. Heute, an diesem Tag! Er hatte sie noch nie angelogen, oder war er nur so geschickt gewesen, dass sie es nicht gemerkt hatte? Sicher, da waren seine
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