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AvaNinian - Drittes Buch (German Edition)

AvaNinian - Drittes Buch (German Edition)

Titel: AvaNinian - Drittes Buch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ina Norman
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Kamante durch die Frauen gehört, deren Männer auf Schiffen arbeiteten, die überfällig oder vermisst waren, und die in Hoffen und Bangen jeden Tag zum Kai wanderten, um Neues zu erfahren. Wenn sie die Ungewissheit nicht mehr ertrugen, gingen sie zu ihm und er sagte ihnen, ob ihr Mann noch unter den Lebenden weilte oder ob er diese Welt verlassen hatte. Er nahm das Bild des Vermissten, das die Frau in ihrer Seele trug, in sich auf und suchte unter allen Menschen der Welt nach dem Geist, der diesem Bild entsprach.
    So erklärte er es wenigstens den Ratsuchenden, wenn er die flache Hand ausstreckte, um sein Geldstück entgegenzunehmen. Sie zahlten willig ihren Obolus und nahmen es klaglos hin, dass sie manchmal lange auf seine Auskünfte warten mussten und diese nicht immer stimmten. Manchmal spazierte ein Totgesagter munter von Deck, während ein anderes Mal eine hoffnungsvolle Frau vergeblich auf die Heimkehr ihres Mannes wartete. Und doch tat die Krämerin Tiresias Unrecht, wenn sie ihn einen Scharlatan nannte.
    Er besaß tatsächlich die Kräfte, die er sich zuschrieb, aber aus Faulheit hatte er niemals an ihrer Ausbildung gearbeitet. Da er zudem schon früh dem verführerischen Zauber des Sternenstaubs verfallen war, waren seine geistigen Augen im Laufe der Zeit trübe geworden und er brauchte lange, bis er den gesuchten Geist aus der gewaltigen Schar der anderen herausgefunden hatte. Doch war er immer noch so zuverlässig, dass selbst ein Geschäftsmann wie der Reeder Stavros sich an ihn wandte. Für den bemühte er sich dann allerdings auch eifriger als für eine junge, dunkelhäutige Frau, und so kam es, dass Kamante schon eine ganze Reihe Silbermünzen in seine runzlige Hand hatte gleiten lassen, ohne eine befriedigende Auskunft bekommen zu haben.
    Sie saß auf ihrer Taurolle, warf das blinkende Geldstück hoch und fing es wieder auf. Kopf - er lebte, Zweig - er war tot. Kopf, Zweig, Zweig, Zweig ...
    Ärgerlich behielt sie die unfreundliche Münze in der Faust und schüttelte sich, um die abergläubische Furcht abzustreifen, die nach ihr griff. Wer gab schon etwas auf solch einen Unsinn? Warum sollte Kwaheri, jung und von Kraft strotzend, tot sein? Nein, er würde zu ihr kommen, gewiss würde er zurückkommen! Sie presste die Faust zusammen und schüttelte sie drohend. Da mochte die Münze unken wie sie wollte.
    »Na, sagt sie nich. was de hörn wills?«
    Kamante fuhr zusammen, als die heisere Stimme neben ihr ertönte. Misstrauisch musterte sie die Frau, die sich neben sie gesetzt hatte und ächzend ihre geschwollenen Füße ausstreckte. Sie quollen über die Ränder der viel zu engen Schuhe mit den hohen, schiefgelaufenen Absätzen. Wie die übrige Kleidung der Frau wirkten sie denkbar unpassend an diesem Ort. Das schäbige, verschossene Brokatkleid war an vielen Stellen nachlässig geflickt, die linke Schulternaht war schon wieder geplatzt. Der zerrissene Rocksaum schleifte über den Boden und starrte vor Dreck. Das Mieder war eng geschnürt, der tiefe Ausschnitt bedeckte kaum den Busen, den die Frau ohne Scham zur Schau stellte. Mit Abscheu sah Kamante graue Fusseln aus Puderresten, Straßenstaub und Schweiß in dem Spalt zwischen ihren welken Brüsten. Als sie ihre Röcke zurechtschüttelte, stieg dem Mädchen der Gestank von ungewaschenem Körper und billigem Duftwasser in die Nase, sie musste sich abwenden, um die aufkommende Übelkeit zu unterdrücken. Sie hörte, wie die Frau sich scharrend kratzte und unwillkürlich rückte sie ein Stück zur Seite. Es schien ihre Nachbarin nicht zu stören, auch sie war offensichtlich zum Schwatzen aufgelegt. Ohne auf Kamantes Unbehagen zu achten, begann sie:
    »Ich wette, ich weiß, was de gefragt has: kommter, kommter nich? Imma des gleiche, aba meistens kommen se nich mehr, die Schufte.«
    »Was weißt du schon davon?«, erwiderte Kamante abweisend und die Frau kicherte.
    »Genuch, Schätzken, Genuch. Weiste, ich hab nich immer so ausgesehen wie jetzt, mich hamse auch das Blaue vom Himmel vasprochn. Dich seh ich schon ’ne ganze Weile auf die Kais rumlaufn. Erzähl also nich, dass de nich auf so’n treulosen Halunken wartest. Un immer bei die Kähne aus ’m Süden ...«
    Sie hustete rasselnd und spuckte so geräuschvoll aus, dass sich Kamante der Magen umdrehte.
    »Was hat er dir denn erzählt? Dass er ’n Prinz is, der dich zu sich holt, wenn er erst Könich is? Quasseln könn die ja, dass ’nem armn Mädchen Hörn und Sehn vergeht, ich bin auch drauf

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